Website der Stiftung "Deutsches Zentrum Kulturgutverluste"

„Die Peripherie im Zentrum“: Das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste widmet seine Herbsttagung der Provenienzforschung zu Vergessenem, Verdrängtem und Vernachlässigtem

Datum 14.11.2022

Pro­ve­ni­enz­for­schung ist häu­fig dann The­ma, wenn es um die Re­sti­tu­ti­on wert­vol­ler Kunst­wer­ke geht. Das Deut­sche Zen­trum Kul­tur­gut­ver­lus­te stellt mit sei­ner Herbst­ta­gung die Ar­beit der Pro­ve­ni­enz­for­scher:in­nen jen­seits der pro­mi­nen­ten Fäl­le in den Mit­tel­punkt: Die zwei­tä­gi­ge di­gi­ta­le Kon­fe­renz am 14. und 15. No­vem­ber 2022 wid­met sich un­ter dem Ti­tel „Die Pe­ri­phe­rie im Zen­trum. Ver­ges­se­nes, Ver­dräng­tes und Ver­nach­läs­sig­tes in der Pro­ve­ni­enz­for­schung“ ganz be­wusst den schein­bar un­be­deu­ten­den Or­ten, den all­täg­li­chen Ob­jek­ten und un­be­kann­ten Na­men.

Clau­dia Roth, Staats­mi­nis­te­rin für Kul­tur und Me­di­en: „Mit der dies­jäh­ri­gen Herbst­ta­gung des Deut­schen Zen­trums Kul­tur­gut­ver­lus­te wird das im­men­se Aus­maß des NS-Kul­tur­gu­trau­bes sicht­bar, der bis in den hin­ters­ten Win­kel des deut­schen Rei­ches hin­ein­wirk­te. Die­ses Wis­sen ver­dan­ken wir in ers­ter Li­nie den Pro­ve­ni­enz­for­sche­rin­nen und -for­schern, die in mü­he­vol­ler Kleinst­ar­beit die oft­mals ver­ges­se­nen Schick­sa­le hin­ter den ge­raub­ten Ob­jek­ten auf­de­cken. Mit ih­ren For­schungs­er­geb­nis­sen eb­nen sie viel­fach den Weg für Rück­ga­ben an die recht­mä­ßi­gen Be­sit­ze­rin­nen und Be­sit­zer oder de­ren Er­ben und tra­gen da­mit we­sent­lich zur Auf­ar­bei­tung die­ses his­to­ri­schen Un­rechts bei.“

Das Jü­di­sche Mu­se­um West­fa­len im nord­rhein-west­fä­li­schen Dors­ten et­wa konn­te ver­gan­ge­nes Jahr ei­ner 90-jäh­ri­gen Da­me in Eng­land das Ge­bet­buch ih­res im KZ er­mor­de­ten jü­di­schen Groß­va­ters zu­rück­ge­ben. Die For­schung des pri­vat ge­tra­ge­nen Mu­se­ums zum Be­stand an Ju­dai­ca und Bü­chern wur­de vom Deut­schen Zen­trum Kul­tur­gut­ver­lus­te ge­för­dert. Auch die meis­ten an­de­ren der rund 20 Re­fe­rent:in­nen der Ta­gung spre­chen über Er­kennt­nis­se aus vom Zen­trum fi­nan­zier­ten For­schungs­pro­jek­ten. Sie zei­gen, was frän­ki­sche Ge­sta­po-Ak­ten über die Be­rei­che­rung der Be­völ­ke­rung am Hab und Gut de­por­tier­ter jü­di­scher Bür­ger:in­nen ver­ra­ten, oder wel­che Rol­le die vom NS-Re­gime seit 1936 in­stal­lier­ten Mu­se­ums­pfle­ger für die ideo­lo­gi­sche Aus­rich­tung von Hei­mat­mu­se­en spiel­ten. Nicht zu­letzt wid­men sie sich aber auch je­nen Men­schen, die aus welt­an­schau­li­chen und po­li­ti­schen Mo­ti­ven, we­gen ih­rer se­xu­el­len Ori­en­tie­rung oder ih­rer Zu­ge­hö­rig­keit zu den Sin­ti und Ro­ma im Na­tio­nal­so­zia­lis­mus ver­folgt und be­raubt wur­den.

„Die Band­brei­te die­ser The­men zeigt zu­gleich die Di­men­si­on des Kul­tur­gu­traubs durch die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten“, sagt Gil­bert Lup­fer, Vor­stand des Deut­schen Zen­trums Kul­tur­gut­ver­lus­te. Die Pro­ve­ni­enz­for­schung ha­be sich in den ver­gan­ge­nen 20 Jah­ren enorm aus­dif­fe­ren­ziert, sei heu­te auch in klei­nen In­sti­tu­tio­nen und au­ßer­halb der Groß­städ­te an­ge­kom­men, so Lup­fer wei­ter: „Das Deut­sche Zen­trum Kul­tur­gut­ver­lus­te för­dert die­se be­grü­ßens­wer­te Ent­wick­lung, in­dem es bei­spiels­wei­se mehr als 20 Erst­check-Pro­jek­te fi­nan­ziert hat, um NS-Raub­gut auch an klei­nen Häu­sern auf­zu­spü­ren. Denn ein auf den ers­ten Blick un­schein­ba­rer Ge­gen­stand kann für die Nach­fahr:in­nen ver­folg­ter jü­di­scher Bür­ger:in­nen große Be­deu­tung ha­ben.“

Das jü­di­sche Le­ben in der Pe­ri­phe­rie war The­ma ei­ner Po­di­ums­dis­kus­si­on am Vor­tag der Kon­fe­renz (13. No­vem­ber) in Hal­b­er­stadt. In Ko­ope­ra­ti­on mit der Mo­ses Men­dels­sohn Aka­de­mie Hal­b­er­stadt und dem MDR hat­te das Zen­trum ei­ne Po­di­ums­dis­kus­si­on un­ter dem Ti­tel „Er­neue­rung aus der Er­in­ne­rung? Jü­di­sches Le­ben zwi­schen Tra­di­ti­on, Ver­fol­gung und Neu­be­ginn“ ver­an­stal­tet. Jut­ta Dick (Vor­stand der Stif­tung Mo­ses Men­dels­sohn Aka­de­mie Hal­b­er­stadt), Ju­lia Hirsch (Nach­fahrin der Hal­b­er­städ­ter Fa­mi­lie Hirsch), Prof. Al­fred Ja­co­by (Ar­chi­tekt der neu­en Syn­ago­ge in Dessau und Eh­ren­vor­sit­zen­der der jü­di­schen Ge­mein­de in Of­fen­bach am Main), Lan­des­rab­bi­ner Alex­an­der Nacha­ma (Jü­di­sche Lan­des­ge­mein­de Thü­rin­gen) und Dr. Dr. h. c. Her­mann Si­mon (Grün­dungs­di­rek­tor der Stif­tung Neue Syn­ago­ge Ber­lin – Cen­trum Ju­dai­cum) dis­ku­tier­ten über die Fra­ge, was die Re­kon­struk­ti­on jü­di­scher Ge­schich­te zur Wie­der­be­le­bung jü­di­schen Le­bens in Deutsch­land bei­tra­gen kann. Es mo­de­rier­te MDR-KUL­TUR-Re­dak­teur Ste­fan Nöl­ke. Die Dis­kus­si­on wur­de vom MDR auf­ge­zeich­net und läuft am Diens­tag, 15. No­vem­ber, bei MDR Kul­tur – Das Ra­dio um 22 Uhr. Da­nach ist sie ein Jahr lang in der ARD-Au­dio­thek nach­zu­hö­ren.

Pro­gramm und Re­gis­trie­rung: Das Ta­gungs­pro­gramm ist ab­ruf­bar auf der Ver­an­stal­tungs­platt­form www.pe­ri­phe­rie-im-zen­trum.de. Dort be­steht auch die Mög­lich­keit zur Re­gis­trie­rung. Im Pres­se­be­reich fin­den Sie ei­ne Aus­wahl von Pres­se­bil­dern, die Sie bei der Pres­se­stel­le des Zen­trums un­ter pres­se@kul­tur­gut­ver­lus­te.de be­stel­len kön­nen.

Pu­bli­ka­ti­on: Zur Kon­fe­renz ist im No­vem­ber die neue Aus­ga­be un­se­res Pe­ri­odi­kums „Pro­ve­ni­enz & For­schung“ (2022) un­ter dem Ti­tel „Pe­ri­phe­ri­en“ im Sand­stein Ver­lag er­schie­nen, er­hält­lich als Print-Aus­ga­be zum Preis von 10 Eu­ro oder di­gi­tal und kos­ten­frei im Open Ac­cess auf www.per­spec­ti­via.net un­ter htt­ps://doi.org/10.25360/01-2021-00036.

Stif­tung: Das von Bund, Län­dern und kom­mu­na­len Spit­zen­ver­bän­den im Jahr 2015 ge­grün­de­te Deut­sche Zen­trum Kul­tur­gut­ver­lus­te in Mag­de­burg ist in Deutsch­land zen­tra­ler An­sprech­part­ner zu Fra­gen un­recht­mä­ßig ent­zo­ge­nen Kul­tur­guts. Das Zen­trum wird von der Be­auf­trag­ten der Bun­des­re­gie­rung für Kul­tur und Me­di­en in­sti­tu­tio­nell ge­för­dert und er­hält hier­aus auch die Mit­tel für sei­ne Pro­jekt­för­de­rung. Das Haupt­au­gen­merk des Zen­trums gilt dem im Na­tio­nal­so­zia­lis­mus ver­fol­gungs­be­dingt ent­zo­ge­nen Kul­tur­gut, ins­be­son­de­re aus jü­di­schem Be­sitz. Ne­ben der Er­for­schung der Pro­ve­ni­enz von Kunst­wer­ken wer­den zum Bei­spiel auch For­schungs­pro­jek­te zu Bü­chern, Ar­chiv­gut oder tech­ni­schen Samm­lun­gen ge­för­dert. Im Be­reich NS-ver­fol­gungs­be­dingt ent­zo­ge­nes Kul­tur­gut fi­nan­ziert das Zen­trum Pro­jek­te in öf­fent­li­chen und pri­va­ten In­sti­tu­tio­nen so­wie von Pri­vat­per­so­nen. Da­ne­ben zäh­len Kul­tur- und Samm­lungs­gut aus ko­lo­nia­len Kon­tex­ten und kriegs­be­dingt ver­la­ger­te Kul­tur­gü­ter so­wie Kul­tur­gut­ent­zie­hun­gen in der So­wje­ti­schen Be­sat­zungs­zo­ne und DDR zu den Hand­lungs­fel­dern des Zen­trums.

Wei­te­re In­for­ma­tio­nen zu den För­der­mög­lich­kei­ten un­ter: www.kul­tur­gut­ver­lus­te.de

Pres­se­mit­tei­lung (PDF, 141 KB)