Gerechte und faire Lösungen
1. Hintergrund
Im Rahmen der Bemühungen zur Rückgabe von NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern (sog. NS-Raubgut) sollen nach der internationalen Washingtoner Erklärung in Bezug auf Kunstwerke, die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden von 1998 und der deutschen Gemeinsame Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter, insbesondere aus jüdischem Besitz von 1999 zwischen den Betroffenen „gerechte und faire Lösungen“ gefunden werden, um offene Fragen und Auseinandersetzungen zu beenden.
2. Finden einer gerechten und fairen Lösung
Vor diesem Hintergrund stellt sich in der Praxis oftmals die Frage, wie eine gerechte und faire Lösung konkret aussehen kann.
Hierzu sind zunächst die Aspekte des jeweiligen Einzelfalls zu würdigen. Dabei könnte etwa zu beachten sein, dass das streitbefangene Objekt über einen längeren Zeitraum hinweg seitens der kulturgutbewahrenden Einrichtung in ihrer Substanz erhalten, gepflegt bzw. öffentlich ausgestellt wurde.
Hiernach stellt sich dann die Frage, welche Art von fairer und gerechter Lösung für den konkreten Fall angemessen sein könnte. In diesem Zusammenhang existiert - neben Restitutionen - ein breites Spektrum „gerechter und fairer“ Lösungen: So ist beispielsweise die Rückgabe des streitbefangenen Objekts mit anschließendem Rückkauf durch den bisherigen Besitzer bzw. Eigentümer möglich, um das Kulturgut etwa in einer Sammlung weiter aufbewahren und öffentlich präsentieren zu können. Denkbar ist auch, dass das streitbefangene Objekt unter der Maßgabe spezieller Vereinbarungen (etwa das Zurverfügungstellen für eine bestimmte Ausstellung) restituiert wird. Möglich ist zudem, dass das Kulturgut beim aktuellen Besitzer bzw. heutigem Eigentümer verbleibt und im Gegenzug hierfür die Zahlung einer Entschädigung an den Berechtigten erfolgt. Weiterhin könnte zwischen den Parteien erwogen werden, einen - gerade auch auf längere Dauer angelegten - Leihvertrag zum restituierten Gegenstand zu schließen. Denkbar ist auch ein Verbleib des Objekts beim heutigen Besitzer unter Erläuterung bzw. transparenter Darstellung der Provenienz, insbesondere des Entziehungsunrechts und des Schicksals des früheren Eigentümers. Abhängig von den besonderen Umständen des jeweiligen Einzelfalls können sich neben den vorbezeichnet dargestellten Modellen auch noch weitere Kompromisse in Form einer „fairen und gerechten Lösung“ ergeben.
3. Quellen
Zum Finden einer gerechten und fairen Lösung kann eine Vielzahl unterschiedlicher Quellen dem Betroffenen Orientierung geben: Zu nennen ist beispielsweise die Veröffentlichungsreihe der ehemaligen Koordinierungsstelle Magdeburg, in der zahlreiche praktische Fälle zu den in den vergangenen Jahren realisierten gerechten und fairen Lösungen verzeichnet sind. Daneben finden sich in der Datenbank „Provenienzdokumentation“ des Bundesverwaltungsamts hinsichtlich des bundeseigenen Kunstbesitzes Entscheidungen zu einzelnen Rückgabebegehren. Weitere Hinweise auf Beispielfälle, Publikationen etc. können beim Deutschen Zentrum Kulturgutverluste erfragt werden bzw. werden vom Zentrum in geeigneter Weise zugänglich gemacht.
Ausgewählte Beispiele für Lösungen:
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2018: Restitution und Rückkauf des Gemälde "Eisgang" von Max Beckmanns durch das Städel Museum von den Erben nach Fritz Neuberger:
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2017: Bund ermöglicht Ankauf eines Gemäldes von E. L. Kirchner - Grütters: Gelungenes Beispiel für eine faire und gerechte Lösung nach den Washingtoner Prinzipien
Pressemitteilung der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien vom 31.03.2017 (PDF, 154 KB) -
2016: Rückgabe des Gemäldes „Italienische Familie“ (1837) von Wilhelm Krafft durch ein Düsseldorfer Auktionshaus an die Erben nach Max Stern:
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2016: Rückgabe des Ölgemäldes "Blumenstrauß" von Narcisso Vigillo Diaz de La Peña durch die Stadt Köln an die Erben nach Flicia Lachmann-Mosse und nach Walter Westfeld:
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2016: Restitution und Rückkauf der Zeichnung „Felsige Waldlandschaft mit weitem Ausblick“ (um 1610/15) von Isaak Major durch die Kunsthalle Bremen von den Erben Dr. Arthur Feldman:
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2013: Rückgabe und anschließender Ankauf von 2000 Bänden (Almanach-Sammlung) durch die Klassik Stiftung Weimar von den Erben Arthur Goldschmidt:
zum Artikel: Klassik Stiftung restituiert Almanach-Sammlung …
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2013: Zahlung einer Entschädigung für das Gemälde „Makabre Szene – Dachgarten der Irrsinnigen“ (Joachim Ringelnatz) vom Clemens-Sels-Museums Neuss an die Erben Paul Westheim:
Empfehlung der Beratenden Kommission in der Sache Westheim ./. Neuss (PDF, 8 KB) -
2012: Rückgabe des Gemäldes „Blumenstrauß in einer Tonvase“ (Werkstatt Jan Breughel d.Ä.) von den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen an die Erben Julius Kien:
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2012: Rückgabe des Gemäldes „Waldlichtung mit kleinem Weiher“ (Carl Blechen) vom Fürst-Pückler-Museum der Stadt Cottbus an die Erben Sommerguth:
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2012: Zahlung einer Entschädigung für das Gemälde „Leuchtturm mit rotierenden Strahlen“ (P.A. Sehaus) vom Kunstmuseum Bonn an die Erben Flechtheim:
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2012: Rückgabe und anschließender Ankauf von zwei Aquarellen (Lehmbruck) durch die Stiftung Preußischer Kulturbesitz von den Erben Paul Westheim:
Pressemitteilung SPK vom 27.01.2012 (PDF, 41 KB) -
2011: Rückgabe des Gemäldes „Bildnis einer jungen Damen“ (C. V. von Vogelstein) von den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden an die Commission for Looted Art in Europe:
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2011: Rückgabe von 70 Büchern von der Zentral- und Landesbibliothek Berlin an die Friedrich-Ebert-Stiftung:
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2008: Zahlung einer Entschädigung für das Gemälde „Portrait der Familie von Dithfurth“ (J.J.A. von der Embde) durch das Land Hessen an die Erben Baumann:
Empfehlung der Beratenden Kommission in der Sache Baumann ./. Hessen (PDF, 40 KB) -
2001: Rückgabe und anschließende Dauerleihgabe eines Tora-Schildes durch das Jüdische Museum Fürth von den Erben Dottheim Brooks:
Beitrag Purin in Koordinierungsstelle, Band 1, S. 106ff (PDF, 168 KB) -
2001: Rückgabe der Bibliothek Cäsar Hirsch von der Universitätsbibliothek Tübingen an die Berechtigten:
Beitrag Reifenberg in Koordinierungsstelle, Band 1, S. 232ff (PDF, 522 KB) -
2001: Rückgabe von sechs Büchern durch die Universitätsbibliothek Marburg an die Erben Max Wolf:
Beitrag Berger in Koordinierungsstelle, Band 1, S. 294ff (PDF, 40 KB) -
seit 1993: Rückgabe von ca. 140 Büchern durch die Staats- und Universitätsbibliothek Bremen an Voreigentümer:
Beitrag Babendreier in Koordinierungsstelle, Band 1, S.38ff (PDF, 303 KB)
DZK_gerechte-faire-Loesungen.mp4 (MP4, 158MB)
Der Film steht kostenfrei zum Download bereit. Er darf unter der Lizenz CC BY-NC-ND 4.0 genutzt und verbreitet werden.
© Deutsches Zentrum Kulturgutverluste, bildbad