NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut (NS-Raubgut, NS-Raubkunst)
Bei NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut handelt es sich um Kulturgut, das zwischen 1933 und 1945 verfolgten Personen entzogen worden ist. Gleichbedeutend werden die Bezeichnungen „NS-Raubgut“ oder „NS-Raubkunst“ verwendet. Die internationalen Washingtoner Prinzipien von 1998 verwenden die Bezeichnung „beschlagnahmte Kunstwerke“ (Nazi-confiscated art). Die deutsche Gemeinsame Erklärung von 1999 spricht von „NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut, insbesondere aus jüdischem Besitz“. Die Begriffe sind darüber hinaus national bzw. international nicht verbindlich definiert.
Der Begriff des Kulturguts wird im Zusammenhang mit der Aufarbeitung des nationalsozialistischen Kulturgutraubs in einem weiten Sinn verstanden und kann über gesetzliche Definitionen, wie etwa des Kulturgutschutzgesetzes (§ 2 Absatz 1 KGSG), hinausgehen. So können auch damalige Alltagsgebrauchsgegenstände (bspw. Tellerservice, Kraftfahrzeuge) als Kulturgut angesehen werden. Maßgeblich bei der Betrachtung von „NS-Raubgut“ sind das Schicksal des betroffenen Eigentümers oder der betroffenen Eigentümerin und die Verlustgeschichte des Objekts, nicht dagegen der materielle oder (kunst-)historische Wert.
Der Begriff des NS-verfolgungsbedingten Entzugs umfasst unterschiedliche Fallgruppen eines Vermögensverlusts während der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft (in Abgrenzung etwa zu einer freiwilligen Veräußerung). Für die Prüfung dieser Frage in der Praxis von Museen, Sammlungen, Archiven etc. wurde eine von der Beauftragen der Bundesregierung für Kultur und Medien herausgegebene Handreichung (PDF, 1 MB) erarbeitet, die eine „Orientierungshilfe“ (S. 33 ff.) gibt. Die Hilfestellung in der Handreichung behandelt die Fragen nach der Feststellung einer Verfolgung im Nationalsozialismus, dem Eintritt eines Vermögensverlustes und auch der Beweislastverteilung bzw. Beweiserleichterungen dafür, dass der Verlust durch die Verfolgung eingetreten ist.
In den europäischen und außereuropäischen Staaten, die keine Verbündeten des Deutschen Reichs waren und die den Verfolgten Exil boten, veräußerten aus Deutschland Geflüchtete oder Vertriebene zwischen 1933 und 1945 vielfach Kulturgut, das sie aus Deutschland hatten ausführen können. Diese Objekte werden häufig als „Fluchtgut“ bezeichnet. Der Umgang mit Verkäufen im Exil wird bislang unterschiedlich gehandhabt und ist aktuell Gegenstand fachlicher und politischer Debatten (vgl. Leitfaden (PDF, 2 MB), S. 18).
Kriegsbedingt verlagertes Kulturgut („Beutegut")
Kriegsbedingt verlagertes Kulturgut liegt vor, wenn ein Kulturgut im Krieg oder infolge der kriegerischen Auseinandersetzungen widerrechtlich entzogen bzw. verbracht oder verlagert wurde. Zum Ende des Zweiten Weltkrieges führten die Aktivitäten der sowjetischen Trophäenkommissionen, die Diebstähle einzelner Militärangehöriger der alliierten Streitkräfte oder Territorialverschiebungen dazu, dass ausgelagerte Kulturgüter nicht mehr an ihren ursprünglichen Ort zurückgeführt wurden. Diese auch als „Beutegut“ oder „Beutekunst“ bezeichneten Objekte sollten insbesondere in der Sowjetunion als Kompensation erlittener Kriegszerstörungen und -verluste dienen.
Der Begriff des Kulturguts wird in einem weiten Sinn verstanden und kann über gesetzliche Definitionen, wie etwa des Kulturgutschutzgesetzes (§ 2 Absatz 1 KGSG), hinausgehen. So können auch damalige Alltagsgebrauchsgegenstände (bspw. Tellerservice, Kraftfahrzeuge) als Kulturgut angesehen werden.
Ausgangspunkt für die Rückführungen kriegsbedingt verlagerten Kulturguts bildet das Völkerrecht und hier speziell die Haager Landkriegsordnung von 1907: Sie verbietet etwa Plünderungen (Art. 47 HLKO), schützt das Privateigentum und untersagt die Beschlagnahmung, Zerstörung oder Beschädigung von Werken der Kunst (Art. 56 HLKO). Die Gesetzgebung erfuhr eine Bestätigung und Präzisierung mit der Haager Konvention von 1954 und dem Zusatzprotokoll 1 der Genfer Konventionen 1977. Seitdem wurden zahlreiche zwischenstaatliche Abkommen geschlossen, die sich zu Rückführungen kriegsbedingt verlagerten Kulturgutes bekennen.
Für den Fall des Auftauchens kriegsbedingt verlagerter Kulturgüter bietet die „Checkliste Beutekunst“ (PDF, 594 KB) Informationen zu wichtigsten Sofortmaßnahmen.
Provenienzforschung
Das Wort Provenienz stammt vom Lateinischen provenire und bedeutet „hervorkommen, entstehen“. Die Provenienzforschung (auch Provenienzrecherche, Provenienzerschließung oder Herkunftsforschung) untersucht die Herkunft und verschiedenen Besitzerverhältnisse eines Kulturguts. Sie ist eine Teildisziplin insbesondere der Kunstgeschichte, wird aber auch von anderen wissenschaftlichen Bereichen betrieben. Die Provenienzforschung gehört zu den Kernaufgaben jeder kulturgutbewahrenden Institution.
Mit den Washingtoner Prinzipien und der Gemeinsamen Erklärung wurde die Notwendigkeit der Provenienzforschung insbesondere im Bereich "NS-Raubgut" national und international unterstrichen.