Tisch beim Workshop Missionssammlungen Berlin
Koloniale Kontexte

Wissen teilen – Verbindungen schaffen – Netzwerke aufbauen

Ein Workshop zu Missionssammlungen in Berlin
Nicole Rumert

Eine sehr dynamische Atmosphäre aus interdisziplinärem Austausch und angeregten Debatten prägte den Workshop „Defining Missionary Collections and Collecting“ in Berlin. Internationale Wissenschaftler:innen und Studierende unterschiedlicher Fachrichtungen fanden sich zusammen, um die facettenreiche Welt missionsgeschichtlicher Sammlungen gemeinsam zu erkunden.

Der Workshop wurde von Jan Hüsgen und Markus Scholz, die bereits zuvor die Unterarbeitsgruppe „Missionssammlungen“ der Arbeitsgruppe „Koloniale Provenienzen“ ins Leben gerufen hatten, organisiert und vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste unterstützt. Ein wichtiges Thema war die Herkunft von Objekten in Missionssammlungen. Eng damit verflochten ist die Frage nach kolonialen Zusammenhängen zwischen Missionsorden, den jeweiligen Kolonialmächten und den Bevölkerungsgruppen, deren Objekte gesammelt wurden.

Doch wie definiert man eine Missionssammlung?

Ein Fokus lag auf der Frage nach einer umfassenden Definition von missionsgeschichtlichen Sammlungen, die möglichst allgemeingültig sein, aber gleichzeitig viele Aspekte abdecken sollte. Diese Bandbreite war insofern wichtig, als die Teilnehmenden jeweils ihre eigenen Schwerpunkte in der Aufarbeitung von missionsgeschichtlichen Museen mitbrachten. Durch die Diskussion wurde jedoch auch schnell deutlich, dass gerade durch die beschriebene Vielfalt das Finden einer einzigen Definition deutlich erschwert wurde. Muss eine Missionssammlung durch einen Missionar angelegt worden sein oder reicht es, wenn sie von ihm an ein Museum weitergegeben wurde? Muss sie Objekte aus dem Missionsalltag zeigen oder ist es auch möglich, dass sie ganz andere Inhalte hat und eher zufällig im Missionskontext entstanden ist?

Erkundung der Missionssammlungen: Strukturen, Praxis und indirekte Kontexte

Der Workshop nutzte als Einstieg das innovative Konzept des „World Café“, um die Teilnehmenden in Kleingruppen zusammenzubringen. Hier konnten sie ihre Perspektiven austauschen und zum Beispiel diskutieren, inwieweit sich missionarische Sammler:innen von anderen Akteur:innen unterscheiden, die ethnologische Objekte gesammelt haben.

Ein Tisch beschäftigte sich mit dem institutionellen Aspekt der Anschaffungen von Missionsorden für Sammlungen in Missionsmuseen. Wie genau sahen die Strukturen vor Ort aus, die die Missionare und Schwestern für ihre alltäglichen Tätigkeiten geschaffen hatten? Unterschieden sich diese von Missionsgesellschaft zu Missionsgesellschaft? Und wie wurden sie genutzt, um Objekte nach Europa zu bringen?

Die nächste Perspektive beschäftigte sich mit der tatsächlichen Praxis des Sammelns, also sowohl der methodischen Vorgehensweise als auch den Beweggründen, die dahinterstanden. Handelten die Sammelnden im Auftrag zum Beispiel von Museen, Universitäten oder Privatsammler:innen in Europa, oder auf eigene Initiative hin? Unterschied sich dies je nach Art der Missionsgesellschaft und ihrem Blick auf die Welt – machte es zum Beispiel einen Unterschied, ob die jeweilige Glaubensgemeinschaft der Wissenschaft gegenüber grundsätzlich positiv eingestellt war? Warum wurden spezifische Objekte zu speziellen Themen gesammelt und andere Themen ausgelassen? Wurden die Objekte im Tausch erworben, geschenkt, gekauft oder eventuell auch mit Gewalt entwendet? Welchem Zweck diente das Sammeln – versprachen sich die Sammelnden einen Vorteil davon? Wer waren die Missionare und Schwestern, die sammelten oder private Fotoalben erstellten? Welche Rollen hatten sie jenseits ihrer geistlichen Tätigkeit und wie könnte dies die Sammeltätigkeit beeinflusst haben? Auf welchen Wegen gelangten die Sammlungen nach Europa?

Im dritten Raum wurden Sammlungen thematisiert, die auf den ersten Blick nicht aus missionarischen Kontexten sichtbar sind, wie beispielsweise botanische oder zoologische Typenexemplare in naturkundlichen Museen oder Sammlungen, die als Nachlässe über Dritte an Museen gelangten. Zudem haben Missionsorden auch externe Objekte und Sammlungen für ihre eigenen Museen zugekauft, die mithin nicht von ihnen selbst angelegt wurden. Sind auch private Nachlässe, die an die Kirche übergeben wurden, als „missionarisch“ einzuordnen? Deutlich wurde vor allem, dass Objekten immer wieder unterschiedliche Bedeutungen zugeschrieben wurden und auch noch heute werden, je nachdem, wer wo wann im Besitz von ihnen war.

Missionare und Missionsschwestern – mehr als nur geistlich-karitative Arbeit?

Während des Workshops wurde intensiv darüber diskutiert, wie missionsgeschichtliche Sammlungen mit kolonialen Strukturen verknüpft waren. Wie zeigte sich zum Beispiel Machtungleichheit, Gewalt und Rassismus in den Sammlungen? Welches Wissen wird benötigt, um diese sensible Dimension erfassen zu können? Und inwieweit bestehen ungleiche Machtverhältnisse aus der Kolonialzeit weiter fort in Deutschland, in den Gebieten der Urhebergesellschaften und den missionsgeschichtlichen Museen und Sammlungen? Vorträge zeigten anhand von Beispielen, wie vielfältig die Sammeltätigkeit von Missionsgesellschaften und Missionaren bzw. Missionsschwestern (als Reisende, Händler:innen, Privatperson, Wissenschaftler:innen) sein konnte. Dies reflektierte die verschiedenen Formen des missionarischen Sammelns und verwies auf die ineinander verwobenen Lebenswelten von Missionaren bzw. Missionsschwestern und den Urhebergesellschaften. Daher war für die Teilnehmenden des Workshops wichtig, den Begriff „Mission“ und „missionarisch" weiterhin als zentral für die Provenienzforschung zu betrachten.

Durch die Betrachtung des jeweiligen Missionsverständnisses der Gemeinschaften sowie die Infrastrukturen, die von Missionaren und Schwestern geschaffen wurden, gewann auch die Genderperspektive an Bedeutung: Missionsschwestern blieben, wie Frauen generell, oft in Schriften und Briefwechseln unsichtbar und hatten untergeordnete Machtpositionen innerhalb der Missionsorden – gleichzeitig spielten sie aber eine wichtige Rolle in der Missionsarbeit in den Kolonien. Damit stellte sich die Frage nach Besonderheiten in ihrer Sammelpraxis: Unterschied sich die Art des Sammelns oder der beschafften Objekte von der männlicher Missionare? Dies ist auch deswegen spannend, weil die Schwestern als Frauen einen anderen Zugang zur Bevölkerung hatten. Daraus entstanden die allgemeineren Fragen, wie unterschiedlich Objekte und Sammlungen Missionsgeschichte widerspiegeln können und ob und inwieweit Mission zwangsläufig eine Ebene von Kolonialismus darstellte. Dies führte zur Diskussion von Unrechts- und Gewaltkontexten und zum Hinterfragen von Umständen des Erwerbs, der Herkunft, der Herstellung oder Aneignung bis hin zur Musealisierung. Innerhalb des Workshops thematisierten und diskutierten die Teilnehmenden unterschiedliche Unrechtskontexte aus ihren Forschungsarbeiten. Es zeigte sich rasch, dass eine Differenzierung zwischen Ordensgemeinschaften und Einzelpersonen hierbei zentral ist.

Potenzial Provenienzforschung? - Brücke für interdisziplinäre Kooperation und Zukunftsgestaltung

Provenienzforschung, so der Wunsch nach zwei intensiven Workshoptagen, sollte eine Kontaktzone darstellen, in der Kurator:innen, Wissenschaftler:innen,  Ursprungsgesellschaften,  Ordensgemeinschaften und Interessierte zusammenkommen können, um Bedürfnisse, Wissen und Ressourcen gezielter austauschen zu können. Hierbei wurde die Einbindung von Missionsorden und -gesellschaften in die Arbeit der Provenienzforschung besonders hervorgehoben, aber auch die Notwendigkeit einer kontinuierlichen interdisziplinären Auseinandersetzung mit missionsgeschichtlichen Sammlungen und ihren Ursprüngen. Dies geht über die Analyse vergangener Ereignisse hinaus und richtet den Blick auf die Bedeutung dieser Sammlungen für die Zukunft, insbesondere für die Gemeinschaften, aus denen die gesammelten Objekte stammten.