Gilbert Lupfer und Imke Gielen halten Kruzifix
NS-Raubgut

Ein Christus kehrt zurück

Das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste übergibt ein Kruzifix an Nachkommen des jüdischen Sammlers Ottmar Strauss.

Das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste hat am heutigen Dienstag, 14. November 2023, ein Kruzifix an die Rechtsanwältin der Erbin und des Erben des deutsch-jüdischen Unternehmers Ottmar Strauss (1878-1941) übergeben, das mit der Bitte um Rückgabe an die Stiftung in Magdeburg geschickt worden war. Das Kunstwerk, das möglicherweise aus dem 13. Jahrhundert stammt, war Ende August 2023 als Päckchen im Stiftungssitz in Magdeburg eingetroffen. Beigelegt war das Ersuchen, das Kruzifix anonym an die Erben von Ottmar Strauss zurückzugeben.

Eine Recherche in der vom Zentrum betriebenen Lost Art-Datenbank erbrachte, dass das kaum 20 Zentimeter große Stück seit 2006 als Suchmeldung gelistet ist. Die Mitarbeiter:innen des Zentrums nahmen umgehend Kontakt mit dem Rechtsanwaltsbüro der Suchenden auf. Schnell war erwiesen, dass das in Magdeburg eingegangene Bronzekruzifix identisch mit dem gesuchten Objekt ist – einem bronzenen „Corpus Christi mit Krone“, das einst dem Kölner Unternehmer Ottmar Strauss gehört hatte.

Strauss besaß eine große Sammlung von Antiquitäten und vor allem religiöser Kunst des Mittelalters. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde er als Jude verfolgt, musste bereits im Mai 1933 aus der von ihm mitgegründeten Firma Otto Wolff ausscheiden und emigrierte 1936. Um seine Flucht und Zwangsabgaben wie die „Reichsfluchtsteuer“ zu finanzieren, war er gezwungen, seine Kunstsammlung zu verkaufen. 1934/1935 wurde sie in drei Auktionen im Kunsthaus Hugo Helbing veräußert – in der ersten Versteigerung kam unter der Losnummer 94 das Kruzifix unter den Hammer, das im Auktionskatalog so beschrieben ist: „Kruzifix, Korpus mit Krone, teilvergoldet, Lendentuch mit Email. Eingesetzte Augen, eines fehlt. – Kupfer. H. 18 cm.“ Laut einem annotierten Katalog wurde es für 350 Reichsmark verkauft, der weitere Verbleib ist nicht bekannt.

Ottmar Strauss selbst verstarb im Jahr 1941, seine Nachkommen suchen seit Jahren nach den Kunstgegenständen. Die Lost Art-Datenbank listet mehr als 2000 Sucheinträge unter dem Namen des Sammlers. Insgesamt wurden mehr als 50 Objekte bereits restituiert. Mit dem Bronzekruzifix hat nun ein weiteres der gesuchten Stücke den Weg zu seinen rechtmäßigen Eigentümern gefunden. Rechtsanwältin Imke Gielen nahm den „Corpus Christi mit Krone“ für die Erbin und den Erben von Ottmar Strauss im Deutschen Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg entgegen.

Gilbert Lupfer, Vorstand des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste, freut sich, dass mit Hilfe von Lost Art ein weiteres Kunstwerk seinen Weg zu den Nachkommen einst verfolgter jüdischer Bürger:innen gefunden hat: „Wieder einmal hat sich gezeigt, welch große Bedeutung die Lost Art-Datenbank dafür hat, den NS-Kunstraub wenigstens in Einzelfällen zu korrigieren. Ich freue mich sehr darüber, dass dieses kleine Kruzifix zur Familie Strauss zurückkehren kann. Bedanken möchte ich mich ganz ausdrücklich beim Einsender des Kruzifixes, der seinen Namen nicht genannt sehen möchte.“

Imke Gielen: „Es ist immer wieder erstaunlich, auf welchem Weg vermisste Kunstwerke aus der Sammlung identifiziert werden können. Umso mehr ist die Initiative des anonymen Einsenders des Kruzifixes zu begrüßen, und die Erben von Ottmar Strauss wollen sich zumindest auf diesem Weg bei ihm oder ihr für die Rückgabe bedanken. Die Rückgabe des kleinen Kruzifixes zeigt zudem, wie wichtig für die Nachfahren der verfolgten jüdischen Sammler die Einrichtung einer frei zugänglichen Datenbank wie der Lost Art-Datenbank ist, die insbesondere auch Privaten ermöglicht, Kunstwerke in ihrem Besitz auf die Provenienz während der NS-Zeit hin zu überprüfen.“

Die Suchmeldung auf Lost Art: https://www.lostart.de/de/Verlust/313062