Deutsches Zentrum Kulturgutverluste bewilligt in der zweiten Antragsrunde 2020 mehr als eine Million Euro für acht Forschungsprojekte im Bereich koloniale Kontexte

Um die Herkunft von Beständen aus kolonialen Kontexten zu klären, hat der Vorstand des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste in Magdeburg in der zweiten Antragsrunde 2020 acht Forschungsanträgen von Museen und Universitäten zugestimmt.

Jahr­hun­der­te­lang ha­ben eu­ro­päi­sche Mi­li­tärs, Wis­sen­schaft­ler und Kauf­leu­te Kul­tur- und All­tags­ob­jek­te, aber auch mensch­li­che Über­res­te aus den da­ma­li­gen Ko­lo­ni­en in ih­re Hei­mat­län­der ver­bracht. So kommt es, dass sich bis heu­te chi­ne­si­sche Bud­dha-Fi­gu­ren in Ost­fries­land be­fin­den und Schä­del aus In­do­ne­si­en im thü­rin­gi­schen Go­tha auf­be­wahrt wer­den. Wie sie in deut­sche In­sti­tu­tio­nen ge­lan­gen konn­ten, ob sie ge­kauft, ge­tauscht oder ge­raubt wur­den, das wird in­zwi­schen auch hier­zu­lan­de kri­tisch hin­ter­fragt.

Um die Her­kunft von Be­stän­den aus ko­lo­nia­len Kon­tex­ten zu klä­ren, hat nun der Vor­stand des Deut­schen Zen­trums Kul­tur­gut­ver­lus­te in Mag­de­burg auf Emp­feh­lung sei­nes För­der­bei­rats in der zwei­ten An­trags­run­de 2020 acht For­schungs­an­trä­gen von Mu­se­en und Uni­ver­si­tä­ten zu­ge­stimmt und da­für ins­ge­samt 1.067.780,00 Eu­ro För­der­geld be­wil­ligt. Sechs Pro­jek­te wur­den neu be­an­tragt, zwei be­reits lau­fen­de wer­den ver­län­gert.

Erst­mals rückt da­bei mit Chi­na ei­ne Re­gi­on in den Fo­kus, die in der De­bat­te bis­lang we­ni­ger Be­ach­tung fand. Vier Ein­rich­tun­gen in Ost­fries­land – das Deut­sche Siel­ha­fen­mu­se­um Ca­ro­li­nen­siel, die Na­tur­for­schen­de Ge­sell­schaft zu Em­den, das Ost­frie­si­sche Tee­mu­se­um Nor­den und das Fehn- und Schif­fahrts­mu­se­um Westrhau­der­fehn – un­ter­su­chen in Ko­ope­ra­ti­on mit chi­ne­si­schen Wis­sen­schaft­ler:in­nen die ko­lo­nia­len Kon­tex­te von Ob­jek­ten und Kon­vo­lu­ten aus der ehe­ma­li­gen deut­schen Ko­lo­nie in Chi­na. Das Pro­jekt zeigt, dass sich auch Re­gio­nal­mu­se­en in der Pro­ve­ni­enz­for­schung en­ga­gie­ren kön­nen.

Ver­tre­ter:in­nen aus den je­wei­li­gen Her­kunfts­re­gio­nen sind auch an an­de­ren For­schungs­vor­ha­ben be­tei­ligt. Die Stif­tung Schloss Frie­den­stein Go­tha wird mit Ex­pert:in­nen aus In­do­ne­si­en zu­sam­men­ar­bei­ten, um die Her­kunft von 30 mensch­li­chen Schä­deln auf­zu­klä­ren. Das Deut­sche Schiff­fahrts­mu­se­um ko­ope­riert mit der Re­gi­on Ozea­ni­en für sein Grund­la­gen­pro­jekt zur Ge­schich­te des Nord­deut­schen Lloyd. Das Schiff­fahrts­un­ter­neh­men avan­cier­te bis 1890 zu ei­ner der größ­ten Ree­de­rei­en der Welt und be­för­der­te nicht nur Ob­jek­te aus al­ler Welt in eu­ro­päi­sche Hä­fen, son­dern auch Trup­pen zum „Bo­xer-Krieg“ in Chi­na.

Ei­nen bis­her we­nig er­forsch­ten As­pekt bringt das Mu­se­um – Na­tu­ra­li­en­ka­bi­nett Wal­den­burg ein: Die dort be­her­berg­ten 150 eth­no­gra­fi­schen Ob­jek­te sind ver­mut­lich zum Groß­teil von Missio­nar:in­nen in den deut­schen Ko­lo­ni­al­ge­bie­ten ge­sam­melt wor­den und gin­gen als Dank für die Un­ter­stüt­zung der Missi­on an das Fürs­ten­haus Schön­burg-Wal­den­burg. Die Mit­te des 19. Jahr­hun­derts von Fürst Schön­burg-Wal­den­burg ge­grün­de­te Schau­samm­lung ist ei­nes der letz­ten eu­ro­päi­schen Ku­rio­si­tä­ten- und Na­tu­ra­li­en­ka­bi­net­te: Sol­che Ka­bi­net­te gel­ten als Vor­läu­fer der eth­no­lo­gi­schen Mu­se­en.

Das Deut­sche Zen­trum Kul­tur­gut­ver­lus­te in Mag­de­burg ist na­tio­nal und in­ter­na­tio­nal der zen­tra­le An­sprech­part­ner zu al­len Fra­gen un­recht­mä­ßig ent­zo­ge­nen Kul­tur­gu­tes. Seit Ja­nu­ar 2019, als das Deut­sche Zen­trum Kul­tur­gut­ver­lus­te auf­grund ei­nes För­der­man­dats des Stif­tungs­rats um ei­nen Fach­be­reich für ko­lo­nia­le Kon­tex­te er­wei­tert wur­de, ist es mög­lich, die För­de­rung von Pro­jek­ten zu be­an­tra­gen, die sich mit Kul­tur- und Samm­lungs­gut aus ko­lo­nia­len Kon­tex­ten be­fas­sen.

An­trä­ge für län­ger­fris­ti­ge Pro­jek­te kön­nen je­weils zum 1. Ja­nu­ar und 1. Ju­ni ei­nes Jah­res ein­ge­reicht wer­den. An­trags­be­rech­tigt sind al­le Ein­rich­tun­gen in Deutsch­land in öf­fent­lich-recht­li­cher Trä­ger­schaft, die Kul­tur­gut aus ko­lo­nia­len Kon­tex­ten sam­meln, be­wah­ren oder er­for­schen. Da­zu zäh­len Mu­se­en, Uni­ver­si­tä­ten und an­de­re For­schungs­ein­rich­tun­gen.

Wei­te­re In­for­ma­tio­nen zu den För­der­mög­lich­kei­ten un­ter: www.kul­tur­gut­ver­lus­te.de