Deutsches Zentrum Kulturgutverluste bewilligt erstmals rund 700.000 Euro für sieben Forschungsprojekte im Bereich koloniale Kontexte

Um die Pro­ve­ni­enz und da­mit in­di­rekt auch den Ver­bleib von Ge­gen­stän­den aus ko­lo­nia­len Kon­tex­ten in deut­schen Mu­se­en zu klä­ren, hat nun der Vor­stand des Deut­schen Zen­trum Kul­tur­gut­ver­lus­te in Mag­de­burg ins­ge­samt zu­nächst 703.589 Eu­ro För­der­geld be­wil­ligt.

Wo­her stam­men die 30 mensch­li­chen Schä­del und Kno­chen der an­thro­po­lo­gi­schen Samm­lung des Mu­se­ums Na­tur und Mensch in Ol­den­burg? Was soll aus ih­nen wer­den? Was aus den Mas­ken, Ah­nen­fi­gu­ren, Waf­fen, Mu­sik­in­stru­men­ten und dem Schmuck im Völ­ker­kun­de­mu­se­um Lü­beck, die von deut­schen Of­fi­zie­ren und me­di­zi­ni­schem Per­so­nal der kai­ser­li­chen „Schutz­trup­pe“ im Um­feld der an den Here­ro und Na­ma ver­üb­ten Ver­bre­chen vor mehr als 100 Jah­ren in Afri­ka ge­sam­melt wur­den?

Um die Pro­ve­ni­enz und da­mit in­di­rekt auch den Ver­bleib von Ge­gen­stän­den aus ko­lo­nia­len Kon­tex­ten in deut­schen Mu­se­en zu klä­ren, hat nun der Vor­stand des Deut­schen Zen­trum Kul­tur­gut­ver­lus­te in Mag­de­burg auf Emp­feh­lung sei­nes neun­köp­fi­gen För­der­bei­rats erst­mals sie­ben For­schungs­an­trä­gen zu­ge­stimmt und da­für ins­ge­samt zu­nächst 703589 Eu­ro För­der­geld be­wil­ligt.

Staats­mi­nis­te­rin Mo­ni­ka Grüt­ters er­klär­te: „Das vom Bund fi­nan­zier­te Deut­sche Zen­trum Kul­tur­gut­ver­lus­te bringt die Pro­ve­ni­enz­for­schung von Samm­lungs­gut aus ko­lo­nia­len Kon­tex­ten ent­schei­dend vor­an. Die Pro­jek­te der ers­ten För­der­run­de zei­gen, wie an­spruchs­voll, kom­plex, aber loh­nend die­se Auf­ga­be ist. Das Zen­trum wird Mu­se­en und Uni­ver­si­tä­ten auch in Zu­kunft dar­in un­ter­stüt­zen, ih­re Be­stän­de mit ge­nau­er Re­cher­che und Sen­si­bi­li­tät zu ana­ly­sie­ren. Denn Trans­pa­renz her­zu­stel­len, ist die wich­tigs­te Vor­aus­set­zung für Ver­stän­di­gung und Ver­söh­nung.“

Seit vor rund drei Jah­ren auch in Deutsch­land die De­bat­te über den Um­gang mit Ob­jek­ten aus ko­lo­nia­len Kon­tex­ten Fahrt auf­nahm, stel­len sich Mu­se­en mit afri­ka­ni­schen und an­de­ren au­ßer­eu­ro­päi­schen Samm­lun­gen ver­stärkt den Fra­gen nach Her­kunft und mög­li­cher Rück­ga­be. Der kürz­lich ver­öf­fent­lich­te Auf­ruf „Öff­net die In­ven­ta­re“ von mehr als 100 nam­haf­ten Wis­sen­schaft­lern, Kul­tur­schaf­fen­den und Künst­lern un­ter­streicht Ak­tua­li­tät und Dring­lich­keit des The­mas. „Die­ser Auf­ruf hat wie­der ein­mal ve­he­ment die viel­fach zu hö­ren­de For­de­rung nach bes­se­rer Kennt­nis über die Be­stän­de der Mu­se­en vor­ge­bracht“, be­wer­tet Gil­bert Lup­fer, wis­sen­schaft­li­cher Vor­stand des Deut­schen Zen­trums Kul­tur­gut­ver­lus­te, die Dis­kus­si­on.

Seit Ja­nu­ar 2019, als das Deut­sche Zen­trum Kul­tur­gut­ver­lus­te auf­grund ei­nes För­der­man­dats des Stif­tungs­rats um ei­nen Fach­be­reich für ko­lo­nia­le Kon­tex­te er­wei­tert wur­de, ist es mög­lich, die För­de­rung von Pro­jek­ten zu be­an­tra­gen, die sich mit der­ar­ti­gem Kul­tur- und Samm­lungs­gut be­fas­sen. „Durch un­se­re Pro­jekt­för­de­rung, an die ei­ne um­fas­sen­de Pu­bli­ka­ti­on der Er­geb­nis­se ge­bun­den ist, leis­ten wir ei­nen wich­ti­gen Bei­trag zu grö­ße­rer Trans­pa­renz über Samm­lungs­be­stän­de aus ko­lo­nia­len Kon­tex­ten“, be­schreibt Vor­stand Lup­fer die Auf­ga­be.

Die zum Stich­tag 1. Ju­ni 2019 ein­ge­reich­ten An­trä­ge wur­den ge­stellt von Mu­se­en, uni­ver­si­tär­en Samm­lun­gen und Uni­ver­si­tä­ten, teils mit Ko­ope­ra­ti­ons­part­nern im In- und Aus­land. Da­bei wa­ren nicht nur eth­no­gra­fi­sche und an­thro­po­lo­gi­sche Samm­lun­gen Ge­gen­stand der ge­plan­ten Pro­jek­te, son­dern auch ar­chäo­lo­gi­sche und na­tur­kund­li­che Samm­lun­gen.

Be­wil­ligt wer­den konn­te ei­ne große Band­brei­te von Pro­jek­ten, wo­bei For­schungs­vor­ha­ben zu mensch­li­chen Über­res­ten, so­wie zu Samm­lun­gen und Kon­vo­lu­ten, die aus vom Deut­schen Reich ko­lo­ni­sier­ten Ge­bie­ten stam­men, stark ver­tre­ten sind. Un­ter den Ge­för­der­ten fin­den sich ne­ben großen eth­no­gra­fi­schen Mu­se­en auch klei­ne Stadt- und Re­gio­nal­mu­se­en so­wie Mehr­spar­ten­häu­ser.

An­trä­ge für län­ger­fris­ti­ge Pro­jek­te kön­nen je­weils zum 1. Ja­nu­ar und 1. Ju­ni ei­nes Jah­res ein­ge­reicht wer­den. An­trags­be­rech­tigt sind al­le Ein­rich­tun­gen in Deutsch­land in öf­fent­lich-recht­li­cher Trä­ger­schaft, die Kul­tur­gut aus ko­lo­nia­len Kon­tex­ten sam­meln, be­wah­ren oder er­for­schen. Da­zu zäh­len Mu­se­en, Uni­ver­si­tä­ten und an­de­re For­schungs­ein­rich­tun­gen. „Aus­drück­lich er­wünscht ist es“, so Wis­sen­schafts-Vor­stand Lup­fer, „dass die ge­för­der­ten In­sti­tu­tio­nen, wo im­mer es mög­lich ist, mit den Her­kunfts­ge­sell­schaf­ten eng zu­sam­men­ar­bei­ten, denn de­ren Er­fah­run­gen und Kom­pe­ten­zen sind un­ver­zicht­bar.“ Ei­ne Über­sicht al­ler in die­ser An­trags­run­de be­wil­lig­ten Pro­jek­te be­fin­det sich im An­hang.