Grafik mit Besuchern vor einer leeren Museumswand
NS-Raubgut
Koloniale Kontexte
Kriegsverluste
SBZ / DDR

Zeugenschaft in Abwesenheit

Leerstellen in Museen als Narrativ kulturgeschichtlicher und
-politischer Zusammenhänge
Emilia Krellmann

Im Jahr 2006 verabschiedete eine Plakataktion der Wiener Werbekampagne Gewista das als „national wertvoll“ erachtete Gemälde „Adele Bloch-Bauer I" (1907) des Künstlers Gustav Klimt. 1938 den rechtmäßigen Eigentümer:innen NS-verfolgungsbedingt entzogen, wurde das Gemälde nach 68 Jahren von der Österreichischen Galerie Belvedere an die in den USA lebende Erbin Maria Altmann zurückgegeben. Auf den im Stadtraum Wien installierten Leuchtplakaten stand über einem Ausschnitt von Klimts Frauenbildnis in dick gesetzten Lettern „CIAO ADELE”.

Im Jahr 2021 provozierten ebenfalls an öffentlichen Plätzen angebrachte Plakate, diesmal in Dresden. Initiiert von den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden wies die Plakataktion des Künstlers Emeka Ogboh mit dem Schriftzug „VERMISST IN BENIN“ auf jene Bronzeplastiken hin, die sich seit mehr als 120 Jahren im Besitz europäischer Museen befinden, im konkreten Fall der Staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsen. Seit der gewaltvollen Aneignung durch britische Kolonialtruppen 1897 erzeugte der Verlust dieser Objekte eine Fehlstelle an ihrem Herkunftsort, dem ehemaligen Königreich Benin im heutigen Nigeria.

Die Plakate in Wien und Dresden trugen die Debatte um Raubgut und Restitution aus dem institutionellen Raum des Museums in den städtischen Raum, was eine öffentliche Sensibilisierung für die Themenfelder förderte und einen Dialog in einem breiteren gesellschaftlichen Rahmen eröffnete. Doch wie ist der Umgang in den Museen selbst mit eben jenem Kulturgut, dessen Provenienz von Gewalt und Verbrechen während der nationalsozialistischen bzw. kolonialen Zeit zeugt und dessen Weggang heute oder zukünftig durch eine Leerstelle im Bestand markiert wird?

Die hier skizzierten Fälle der Abwesenheit von Objekten nach ihrer Restitution und die Frage des Umgangs damit sind keine Seltenheit. Vielmehr hat die bewusste Auseinandersetzung mit Abwesenheit durch das gesteigerte Interesse an Provenienzforschung zugenommen. Bewahrheitet sich die Aussage der Außenministerin Annalena Baerbock, dass die am 1. Juli 2022 erfolgte Unterzeichnung der politischen Erklärung zur Rückgabe der Benin-Bronzen erst den Anfang bedeutet, wird künftig die Zahl an Leerstellen in deutschen Sammlungen steigen und die Frage des Umgangs damit an Relevanz gewinnen. Auch im Kontext von NS-Raubgut stellt die Abwesenheit nach einer erfolgten Restitution längst keinen Einzelfall mehr dar. Hinzu kommen jene Leerstellen, die auf die Aktion „Entartete Kunst“ oder auch auf durch den Zweiten Weltkrieg bedingte Verluste und Verlagerungen zurückzuführen sind. Diese Fallkonstellationen weisen allerdings fundamentale Unterschiede auf. So stehen Kurator:innen heute vor der Herausforderung: Wie lassen sich historisch komplexe Gemengelagen im Museum ausstellen, wenn das bezeugende Objekt abwesend ist? Und wie wird die Abwesenheit, die für das Narrativ einer Ausstellung entscheidend ist, als Erinnerungsträger inszeniert und welcher Inhalt wird dadurch transportiert?

In den Räumen der Galerie Belvedere in Wien wurde die Leerstelle des restituierten Klimt-Gemäldes mit einem anderen Exponat besetzt. In den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden hingegen fiel bewusst die Entscheidung, die An- bzw. Abwesenheit der Benin-Bronzen im Ausstellungsraum zu thematisieren: Nachdem die Objekte der Benin-Sammlung ins Depot verlagert worden waren, intervenieren ebenfalls von Emeka Ogboh entwickelte Arbeiten aus seiner Serie „At the Threshold" („An der Schwelle") in die Dresdner und Leipziger Sammlungspräsentationen, die die Aufmerksamkeit auf die Debatte lenken.

Auch weitere zeitgenössische Künstler:innen wie Lisl Ponger („Horror Vacui", 2008), Simon Schubert („Das Brandzimmer", 2018) oder Christian Jankowski („Leihgabe", 2017) greifen Abwesenheiten thematisch auf. Es entstehen Werke, die das Abwesende nicht ersetzen, die Abwesenheit jedoch reflektieren und eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart schlagen. Kuratorische Möglichkeiten sind zudem ein leerer Rahmen als Zeichen für ein fehlendes Gemälde (Städel Museum Frankfurt/M. 2019/20), eine viereckige Wandmarkierung in Stellvertretung einer Zeichnung (Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Residenzschloss, 2018/19) oder auch eine unbestückte Vitrine, die auf ein absentes Objekt verweist (MARKK Hamburg, 2023). Neben Reproduktionen ist die Verwendung von technischen Hilfsmitteln eine gängige Methode. Das Spektrum reicht von einer Lichtprojektion in der Hamburger Kunsthalle (2013) über Leuchtkästen in der Kunstsammlung Gera (2011) bis hin zu einer VR-Installation im Kunstmuseum Moritzburg (2019).

Die vielfältigen und oft komplexen Hintergründe einer Abwesenheit werden jedoch nicht allein durch eine Inszenierung verständlich. Weitere Vermittlungsformate spielen eine entscheidende Rolle. Sie ordnen ein, bestimmen und erklären. Durch Wandtexte, Audioguides und Medienstationen etwa können Indizien zum Verbleib von verschwundenen Objekten, Mehrdeutigkeiten und Wissenslücken übermittelt oder auch Einblicke in normalerweise verborgene Arbeitsbereiche der Museen gegeben werden.

Museen definieren sich durch ihre Sammlungen, wobei eine jede Abwesenheit im Bestand auf einen Teil der (Institutions-)Geschichte weist. Als ein Ort, der gesellschaftlich relevante Inhalte vermittelt und historische Bildung fördert, unterliegt das Museum einem stetigen Wandel, ebenso wie die Praxis des Ausstellens. Das Zeigen von Abwesenheit birgt vor allem die Chance, zu Diskussionen über Verantwortung, Erinnerung, Restitution und die Rolle von Kulturgut in unserer Gesellschaft anzuregen. Vielleicht wird die Zukunft weitere Wege aufzeigen, wie Abwesenheit und ihre Zeugenschaft als Erinnerungsträger in Ausstellungen integriert und visualisiert werden können, um diese als Schnittstelle zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu nutzen.

Die Autorin ist Doktorandin an der Technischen Universität Dresden und Stipendiatin der Hans Böckler Stiftung. Sie forscht zu infolge des Kolonialismus und Nationalsozialismus entstandenen Abwesenheiten von Kulturgut in heutigen Sammlungsbeständen und fragt, wie die Präsentation verschiedener Arten von Abwesenheit in Ausstellungen gelingen kann.