Pustaha, ein „Zauberbuch“ von der Insel Sumatra, das sich heute in der Bücher- und Kupferstichsammlung Greiz befindet.

Koloniale Kontexte: Grundlagen & Übersicht

Was versteht man unter „kolonialen Kontexten“ und wie verlief die koloniale Geschichte Deutschlands? Wie hat sich die postkoloniale Provenienzforschung entwickelt und wer sind die zentralen Akteur:innen? Der Fachbereich „Kultur- und Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“ gibt einen Überblick über sein Themenfeld.

Was versteht man unter „kolonialen Kontexten“?

Der Begriff „koloniale Kontexte“ umfasst die Umstände und Folgen des Kolonialismus seit der europäischen Expansion im 15. Jahrhundert. Gemeint sind nicht nur die formalen Kolonialherrschaften, wie sie Deutschland, England, Frankreich, Belgien oder die Niederlande in Asien, Ozeanien oder Afrika ausübten, sondern auch koloniale Strukturen und Denkmuster, die bis heute nachwirken. Denn auch dann, wenn eine einstige Kolonie ihre staatliche Unabhängigkeit längst erreicht hat, können „koloniale Kontexte“ fortbestehen – zum Beispiel in Ausbeutungsverhältnissen oder in der Marginalisierung von Minderheiten.

Kennzeichnend für koloniale Kontexte ist ein Machtgefälle: „Koloniale Kontexte sind geprägt von ungleichen Machtverhältnissen und einem Selbstverständnis der kulturellen Höherwertigkeit der Herrschenden“, so definiert der „Leitfaden zum Umgang mit kolonialem Sammlungsgut“ des Deutschen Museumsbundes. Kolonialismus kann viele Gesichter haben und wird im genannten Leitfaden allgemein beschrieben als „Herrschaftsverhältnis, bei dem die kolonisierten Menschen in ihrer Selbstbestimmung beschränkt, fremdbestimmt und zur Anpassung an die (vor allem wirtschaftlichen und politischen) Bedürfnisse und Interessen der Kolonisierenden gezwungen werden.“

Häufig begann die Kolonisierung mit der Missionierung oder der Errichtung von Handelsstützpunkten. Oftmals ging sie mit brutaler Eroberung und Unterdrückung einher. Die meisten formalen europäischen Kolonialherrschaften endeten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, „koloniale Kontexte“ wirken jedoch bis heute in vielerlei Gestalt nach.

Die koloniale Vergangenheit Deutschlands

Das 1871 gegründete Deutsche Reich wurde im Vergleich zu anderen europäischen Nationen erst relativ spät zur Kolonialmacht. Auch weil Reichskanzler Otto von Bismarck koloniale Bestrebungen zunächst kritisch sah, entstanden die ersten deutschen Kolonien aus Erwerbungen von Privatleuten und Handelsgesellschaften, die danach unter den „Schutz“ des Kaiserreichs gestellt wurden. Ab Mitte der 1880er Jahre errichtete das Deutsche Reich die Kolonien Kamerun, Togo, Deutsch-Südwestafrika (heute Namibia) und Deutsch-Ostafrika, außerdem Deutsch-Samoa und Deutsch-Neuguinea im pazifischen Raum sowie Kiautschou in China.

Die deutsche Kolonialmacht ging dabei zum Teil mit ausgeprägter Grausamkeit vor. In „Deutsch-Südwestafrika“ kam es 1904-1908 zu einem Völkermord an den widerständigen Herero und Nama. Im Maji-Maji-Krieg in „Deutsch-Ostafrika“ 1905-07 führten deutsche Truppen mithilfe von Söldnern einen Krieg gegen die Bevölkerung, der hunderttausende Opfer forderte. Der Widerstand auf Ponape im Pazifik wurde ebenso blutig niedergeschlagen wie der Widerstand der „Boxer-Bewegung“ in China.

Die Niederlage im Ersten Weltkrieg bereitete der deutschen Kolonialherrschaft im Vergleich zu anderen europäischen Kolonialherrschaften ein frühes Ende: Im Versailler Vertrag wurden Deutschland seine Kolonien aberkannt.

Zwei Studien zur kolonialen Gewalt in Afrika und Ozeanien hat das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste in seiner Reihe Working Paper Deutsches Zentrum Kulturgutverluste herausgegeben. 

Unsere Reihe „Working Paper“

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Hier finden Sie auch die Studien zur kolonialen Gewalt in Afrika und Ozeanien.
Working Paper

Wichtige Ereignisse

Postkoloniale Provenienzforschung

Die postkoloniale Provenienzforschung fragt nach der Herkunft von Sammlungen und Objekten, die unter kolonialen Bedingungen erworben wurden. Ziel ist es herauszufinden, welche Objekte sich europäische Akteure gewaltsam angeeignet haben, damit Rückgaben an die Herkunftsländer bzw. die Herkunftsgesellschaften ermöglicht werden können. Dabei werden auch die uneindeutigen Besitzwechsel und die Spielräume, die lokale Akteur:innen für sich nutzen konnten, beleuchtet. Von zentraler Bedeutung für die postkoloniale Provenienzforschung ist die Zusammenarbeit mit Expert:innen, Interessensgruppen und Sammlungs- bzw. Forschungsinstitutionen in bzw. aus den Herkunftsländern und -gesellschaften, aus denen die Objekte oder menschlichen Überreste stammen.

Das Augenmerk liegt dabei zum einen auf der Erforschung der Provenienz einzelner Gegenstände, zum anderen auf der Aufdeckung kolonialer Strukturen - etwa dem Zusammenhang von kolonialer Expansion und der Einrichtung von „Völkerkundemuseen“ im 19. Jahrhundert. Postkoloniale Provenienzforschung erforscht also nicht nur die Herkunft von Objekten, sondern sie fragt: Welchen Einfluss hatten koloniale Herrschaft und rassistische Ideologie auf die Entstehung von Sammlungen und Museen in Europa? Und inwieweit sind Institutionen, Kultur und Wissenschaft bis heute von dieser Geschichte geprägt?

Neben Kulturgütern liegt ein Schwerpunkt auf der Erforschung der Herkunft von menschlichen Überresten vor allem in anthropologischen, naturkundlichen oder archäologischen Sammlungen. Schädel und Gebeine aus kolonisierten Gebieten wurden unter anderem für die sog. „Rasseforschung“, ein Forschungszweig, der versuchte, die Existenz von „Menschenrassen“ nachzuweisen, in Europa gesammelt und sind vielfach bis heute in deutschen Sammlungen aufbewahrt.

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„Zahlung an den Häuptling von ... für die Vorführung des heiligen Krokodils", aus Schomburgks Fotobuch

Vorgeschichte und Entwicklung des Forschungsfeldes

Auf politischer Ebene sind zwei der wichtigsten Grundsatzdokumente für die Entwicklung der postkolonialen Provenienzforschung das Bekenntnis der deutschen Regierungskoalition 2018-21 zur „Aufarbeitung der Provenienzen von Kulturgut aus kolonialem Erbe“ (2018) sowie die Selbstverpflichtung von Bund, Ländern und Kommunen in den „Ersten Eckpunkten zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“ (2019). Beide spielten eine zentrale Rolle bei der Etablierung des Fachbereiches „Kultur- und Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“.

Das Eckpunktpapier benannte 2019 sechs Handlungsfelder und Ziele. Dazu gehörte die Etablierung der „Kontaktstelle für Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten in Deutschland” und die Umsetzung der „3-Wege-Strategie”, aus der das sogenannte CCC-Portal entstand.

Mit den drei genannten Stellen existiert nun erstmals eine gezielte Förderung für die Erforschung von Provenienzen im Bereich der kolonialen Kontexte, die über die Forschungsdatenbank Proveana dokumentiert wird, eine zentrale Anlaufstelle für Personen und Institutionen aus den Herkunftsländern der Objekte (insbesondere auch im Hinblick auf mögliche Rückgaben) sowie eine zentrale digitale Plattform, über die perspektivisch Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten aus der ganzen Welt eingesehen werden kann.

Verschiedene Faktoren hatten insbesondere seit den 2000er Jahren zu diesen Entwicklungen beigetragen. Dazu gehören etwa die Debatte um das Humboldt-Forum in Berlin, die Verhandlungen zwischen der deutschen und der namibischen Regierung über Wiedergutmachung für die Folgen des Genozids an Herero und Nama sowie die Zunahme von Anfragen und Rückgabeforderungen zu Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten und hier insbesondere menschlichen Überresten. Bereits 2013 hatte der Deutsche Museumsbund mit seinen „Empfehlungen zum Umgang mit menschlichen Überresten“ viele Fragen aus der öffentlichen Diskussion aufgenommen, 2018 folgte ein zweiter Leitfaden, der sich generell mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten beschäftigte. Schon 2017 hatte sich auch die Arbeitsgruppe „Koloniale Provenienzen“ als Zusammenschluss von Wissenschaftler:innen gegründet und auf die politischen Entwicklungen eingewirkt.

Neuen Auftrieb gewann die Debatte durch die Veröffentlichung des Berichts von Felwine Sarr und Bénédicte Savoy „Zurückgeben. Über die Restitution afrikanischer Kulturgüter“ im November 2018, in dem die Autor:innen Empfehlungen für die Restitution von afrikanischem Kulturerbe aus den öffentlichen Museen und Sammlungen in Frankreich formuliert hatten. Dem war die Rede des französischen Präsidenten Emmanuel Macron an der Universität von Ouagadougou (Burkina Faso) vorausgegangen, in der dieser die Rückgabe von Kulturgut angekündigt hatte. Der Bericht hatte auch Einfluss auf andere europäische Staaten.

Wichtige Akteure und Strukturen

Weitere Inhalte

Sammlung Schriften, Museum Fünf Kontinente München
Förderung & Anträge
Infos und Unterlagen zur Förderung der Provenienzforschung im Bereich „Kultur- und Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“
Benin-Bronzen in der Dauerausstellung des Übersee-Museums
Rückgaben
Zur Situation der Rückgaben von Kultur- und Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten – mit markanten Beispielen
Titelbild Periodikum "Provenienz & Forschung" 2/2020
Materialien
Publikationen und Veranstaltungen aus dem Bereich Kultur- und Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten