Ansicht eines Datensatzes

Sensible Inhalte im Netz

„Provenienzforschung und Fotografie" I: Auswirkungen der Digitalität auf den Umgang mit Fotografien
Sabine Lang

In vielen datenbasierten Wissenschaften, wie der digitalen Kunstgeschichte oder historischen Fachinformatik, wird diskutiert, wie man mit sensiblen Inhalten im Digitalen umgehen soll, welche Strategien dafür benötigt werden und wie diese mit den sogenannten FAIR-Prinzipien (Findable, Accessible, Interoperable, Reusable) für Forschungsdaten vereinbar sind. Die wissenschaftliche Diskussion wird von einer öffentlichen Debatte über sensible Sprache und die Verwendung von rassistischen und diskriminierenden Begriffen und Motiven in der Literatur oder der Bildenden Kunst begleitet. Am Beispiel von (historischen) Fotografien mit sensiblen Inhalten diskutiert dieser Beitrag mögliche Strategien des Umgangs damit, wobei zunächst die Folgen der Digitalität für Fotografien erörtert werden. Der Beitrag stellt damit ein aktuelles Thema vor, das auch in der Provenienzforschung diskutiert werden muss. Die Frühjahrstagung des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste zum Thema „Provenienzforschung & Fotografie“ bietet dafür einen geeigneten Rahmen.

Nicht-Veröffentlichung ist keine Lösung

Fotografien sind wichtige Quellen für die Provenienzforschung, denn sie können die Herkunft eines Objekts bezeugen. Die Inhalte dieser Fotografien können problematisch sein, wenn sie Rassismus, Diskriminierung oder koloniale Machtverhältnisse abbilden. Bereits im Analogen erfordert der Umgang mit sensiblen Inhalten Fingerspitzengefühl und Problembewusstsein, im Digitalen verstärken sich diese Anforderungen allerdings signifikant.

Die Digitalisierung fotografischer Bestände sichert deren Erhalt und macht, wenn sie anschließend ins Netz gestellt werden, (Provenienz-)Recherchen zeit- und ortsunabhängig. Sie trägt dazu bei, dass Fotografien für eine breite Öffentlichkeit ständig und dauerhaft zugänglich werden. Das digitale Format erlaubt zudem die Bearbeitung des Inhalts und eine unbegrenzte Vervielfältigung der Fotografien. Damit verbunden ist aber auch ein Kontrollverlust über die weitere Nutzung der Fotografien, die nun in neue Kontexte eingebettet werden können. So ist Missbrauch für z.B. politische Zwecke, sind Fehlinterpretationen ein möglicher Effekt. Der Transfer ins Digitale kann auch dazu führen, dass sensible Inhalte unreflektiert weitergetragen und damit Personengruppen weiterhin verletzt werden. Dies bringt eine große Verantwortung mit sich, nicht nur für Datenbankbetreibende, sondern auch für Datenproduzierende. Sollte man Fotografien mit sensiblen Inhalten deshalb nicht ins Netz stellen? Eine Nicht-Veröffentlichung ist nach Meinung der Autorin keine Lösung, schließlich sind Fotografien wichtige Quellen und Zeugnisse historischer Tatsachen. Das Nicht-Zeigen könnte schließlich sogar Geschichte verfälschen. Wie kann also ein angemessener Umgang aussehen?

Strategien für den Umgang mit sensiblen Inhalten

Am 23. Juni 2023 organisierte das Forum Foto + Album ein Treffen zum Thema „Strategien im Umgang mit sensiblen Inhalten in Fotografien und Alben“, wobei Strategien für Publikationen und Ausstellungsräume im Fokus standen. So werden Fotografien dort durch visuelle Eingriffe wie z.B. durch das Abdecken bestimmter Bereiche oder das Zerlegen in Einzelteile entschärft. Auch das bewusste Nicht-Zeigen von Fotografien, die durch visuelle Leerstellen trotzdem markiert werden, ist eine Strategie. Diese analogen Verfahren lassen sich auch im Digitalen anwenden.

Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden haben sich in ihrer Online-Sammlung dazu entschlossen, rassistische und diskriminierende Begriffe in Werktiteln und Beschreibungen auszublenden und durch Asteriske zu ersetzen. Erst auf einer zweiten Ebene können sich Nutzer: innen dafür entscheiden, die Begriffe anzeigen zu lassen (s. Abbildung). Die Datenbank Digital Benin arbeitet mit mehreren Strategien, um auf die Problematik einiger Inhalte hinzuweisen. Bereits auf der Startseite weist eine Stellungnahme auf „Sensitive Content“ hin. Die Seite „Use of derogatory, racist and harmful language“ enthält Ausführungen über die Verwendung von beleidigender, rassistischer oder verletzender Sprache. Diese beinhalten zudem konkrete Vorschläge, wie mit problematischen Inhalten umgegangen werden kann. Interessant ist, dass verschiedene Kategorien für problematische Sprache etabliert und für diese wiederum unterschiedliche Lösungen vorgeschlagen werden. In den Objektdaten werden diese Lösungen sichtbar: Einige Wörter werden durch visuelle Leerstellen ersetzt, andere werden durch Rechtecke markiert. Beim Darüberfahren erscheint die Warnung „Sensitive Content Detected“ und durch einen Klick öffnet sich ein Pop-Up mit weiteren Informationen und verlinkten Inhalten. Für die Präsentation von fotografischen Beständen im Netz könnten ähnliche Strategien angewendet werden.

In der Informatik werden z.B. Datenblätter für Datensätze vorgeschlagen, die Transparenz und Verantwortung fördern sollen. Die Datenblätter enthalten Fragen, die verschiedenen Kategorien zugeordnet werden. Eine Kategorie enthält z.B. Fragen zu rechtlichen und ethischen Überlegungen: Enthält der Datensatz Informationen, die als sensibel oder vertraulich eingestuft werden oder könnte er Personen Schaden zufügen? In ähnlicher Weise könnten Datenblätter für fotografische Bestände erstellt werden, die Auskunft über potenzielle negative Implikationen geben. Weitere Möglichkeiten wären schließlich denkbar, z.B. eine Einschränkung des Zugriffs mit Autorisierungsverfahren.

Schluss

Die Frühjahrstagung bietet einen geeigneten Rahmen, um in den Austausch zu treten und über mögliche Strategien für den Umgang mit sensiblen Inhalten im Netz zu diskutieren. Betroffene Personengruppen müssen bei der Umsetzung digitaler Strategien in die Diskussion und Entwicklung einbezogen werden.  Die Strategien sollten schließlich die Zugänglichkeit der Daten im Sinne der FAIR-Prinzipien und der „Washingtoner Prinzipien“ gewährleisten. Die FAIR-Prinzipien fordern u.a. die Zugänglichkeit von Forschungsdaten, wobei eine Einschränkung des Zugriffs bei sensiblen Inhalten möglich ist, solange der Zugriffsweg nachvollziehbar bleibt. Schließlich sind im Kontext der Provenienzforschung zu Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten auch die CARE-Prinzipien (Collective Benefit, Authority to Control, Responsibility, Ethics) zu berücksichtigen, die die Interessen indigener Gemeinschaften bewahren sollen. 

Sabine Lang ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Department Digital Humanities and Social Studies
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

https://www.dhss.phil.fau.de/person/dr-sabine-lang/

Dieser Blogbeitrag ist der erste einer kleinen Reihe von Beiträgen, die begleitend zur Frühjahrstagung des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste zum Thema Provenienzforschung und Fotografie" am 18. und 19. April 2024 in Leipzig erscheinen.

Literaturempfehlungen

  • Udo Andraschke und Sarah Wagner (Hg.): Objekte im Netz. Wissenschaftliche Sammlungen im digitalen Wandel. Transcript Verlag, Bielefeld 2020, https://www.transcript-verlag.de/media/pdf/2d/0a/3f/oa9783839455715.pdf
  • Hans Peter Hahn, Oliver Lueb, Katja Müller und Karoline Noack (Hg.): Digitalisierung ethnologischer Sammlungen. Perspektiven aus Theorie und Praxis. Transcript Verlag, Bielefeld 2021, https://doi.org/10.1515/9783839457900
  • Matthias Harbeck und Moritz Strickert: Freiwilligkeit und Zwang. Eine Diskussion im Kontext der frühen ethnologischen Fotografie. Potsdam: ZZF – Centre for Contemporary History: Visual History, 2020,  https://doi.org/10.14765/zzf.dok-1928
  • Matthias Harbeck und Moritz Strickert: Zeigen / Nichtzeigen. Potsdam: ZZF – Centre for Contemporary History: Visual History, 2020, https://doi.org/10.14765/zzf.dok-1927
  • Jessica Heesen (Hg.): Handbuch Medien- und Informationsethik. J.B. Metzler Verlag, Stuttgart 2016, https://link.springer.com/content/pdf/10.1007/978-3-476-05394-7.pdf
  • Arvid Deppe: FAIR, CARE und mehr. Prinzipien für einen verantwortungsvollen Umgang mit Forschungsdaten. In: Matthias Schulze (Hg.): Historisches Erbe und zeitgemäße Informationsinfrastrukturen: Bibliotheken am Anfang des 21. Jahrhunderts. Kassel University Press, Kassel 2020, S. 299-312.
  • Mark D. Wilkinson et al.: The FAIR Guiding Principles for Scientific Data Management and Stewardship. Scientific Data 3, 2016: 160018,  https://doi.org/10.1038/sdata.2016.18.