Volontärin, Landesmuseum Hannover
NS-Raubgut
Koloniale Kontexte

Spurensuche lernen

Als Volontärin der Provenienzforschung am Landesmuseum Hannover
Louisa Hartmann, Hannover

Wie gelangten Objekte ins Museum? Wem gehören Kulturgüter? Und nicht zuletzt: Müssen wir die „Institution Museum“ neu denken? Und wenn ja, wie? All diese Fragen begegnen mir im Rahmen meines Volontariats in der Provenienzforschung tagtäglich. Seit Februar 2023 befinde ich mich am Landesmuseum Hannover, einer wahrlich historischen Arbeitsstätte: Damit die „der Menschheit gewonnenen Schätze an Kenntnissen nicht allein in den engen Kreisen des Gehirns Einzelner [verweilen]“ (Georg Philip Holscher, 1850), gründeten bürgerliche Vereine 1852 das „Hannoversche Museum für Kunst und Wissenschaft“. Heute, 171 Jahre und zwei Namensänderungen später, begleitet das Landesmuseum getreu seinem Beinamen „WeltenMuseum“ Besucher:innen auf ihren Wegen durch „NaturWelten“, „KunstWelten“ und „MenschenWelten“.

Seit 2008 untersucht der Fachbereich Provenienzforschung am Landesmuseum Hannover unter Leitung von Dr. Claudia Andratschke die Bestände des Hauses. Wurde der Blick zunächst auf NS-Raubgut gerichtet, kamen seit 2013 Nachforschungen zu Sammlungen aus „kolonialen Kontexten“ hinzu. Folglich habe ich die Möglichkeit, mich in beide Bereiche einzuarbeiten. Durch das am Landesmuseum angesiedelte „Netzwerk für Provenienzforschung in Niedersachsen“ öffnen sich mir darüber hinaus die Türen zahlreicher Museen, in denen Kolleg:innen die Herkunft von Sammlungen beleuchten.

Als ich 2017 in meinem Geschichtsstudium erstmals von „Provenienzforschung“ hörte, konnte ich die dahinter verborgene Vielfalt kaum erahnen: In einem Stadtführungsseminar zur „Universität Göttingen im Nationalsozialismus“ sollte ich meinen Kommiliton:innen „NS-Raub und Beutegut an der Historischen Staats- und Universitätsbibliothek“ nahebringen. So flüchtig dieser erste Kontakt auch war, motivierte er mich doch 2019, während eines Praktikums am Landesmuseum Hannover, in den Bereich Provenienzforschung „reinzuschnuppern“. Damals tat sich so Einiges, schließlich stand der Auftaktworkshop des PAESE-Projekts bevor, in welchem sich die fünf größten ethnografischen Sammlungen Niedersachsens kritisch mit ihren außereuropäischen Beständen beschäftigten und den Dialog mit Forscher:innen aus sogenannten Herkunftsländern suchten. Inmitten turbulenter Vorbereitungen auf die Ankunft von Wissenschaftler:innen aus Kamerun, Tansania, Namibia, Papua-Neuguinea und Deutschland lernte ich meine jetzige Arbeitsstelle kennen.

Alte und Neue Meister an den Gittern der Schieberahmenanlagen in den Kunstdepots sowie Masken, Waffen und allerlei Alltagsgegenstände hinter den Glasscheiben des ethnologischen Schaudepots – jenseits der Ausstellungsflächen schlummern „Welten“ völlig losgelöst von ihrer ursprünglichen Herkunft. Im Vergleich zu den Dimensionen der Depots kann die Dauerausstellung höchstens als „Spitze des Eisbergs“ bezeichnet werden. Mich bewegt bis heute, dass hinter jedem Objekt Geschichten und, wichtiger noch, Menschen stehen. Zwar habe ich mich in meinem Studium mit den Verbrechen des Nationalsozialismus auseinandergesetzt und mich intensiv mit der Geschichte von Kolonialismus und Rassismus beschäftigt. Wenn ich durch die Depots gehe und der schieren Masse von Objekten aus aller Welt face to face begegne, werden mir die Folgen dieser historischen Ereignisse aber besonders bewusst: In den Sammlungen des Museums wird Geschichte in die Gegenwart transportiert – für mich bedeutet das, immer wieder aufs Neue zu fragen: Was ist rechtmäßig in unserem Besitz? Was wiederum nicht?

Dabei erfordert die Provenienzforschung in einem Mehrspartenhaus einen 360°-Blick: Nicht nur ein Gemälde kann verdächtig sein, sondern auch ein Schildkrötenpanzer aus Indonesien oder ein steinerner Puma aus Bolivien. Schon jetzt sind die verschiedensten Fälle über meinen Schreibtisch gewandert. Natürlich bleibt das Landesmuseum nicht unberührt von äußeren Entwicklungen. Erst kürzlich sind die dort befindlichen, teilweise schon im PAESE-Projekt bearbeiteten kamerunischen Sammlungen durch Bénédicte Savoys und Albert Gouaffos Publikation „Atlas der Abwesenheit. Kameruns Kulturerbe in Deutschland“ erneut in den Fokus gerückt. Infolge des verstärkten Bewusstseins für über 40.000 kamerunische Objekte in deutschen Museen (größtenteils akquiriert in der deutschen Kolonialzeit) ist es aktuell meine Aufgabe, die Herkunft entsprechender Bestände am Landesmuseum weiter zu überprüfen.

Wie können wir also die „Institution Museum“ neu denken? Natürlich lässt sich dafür keine allgemeingültige Antwort finden. In einer Welt, in der rechte und rassistische Ideologien immer mehr Raum einnehmen, muss sich die Institution Museum positionieren. Dafür ist es zunächst wichtig, die eigene Vergangenheit anzuerkennen, aufzuarbeiten und transparent zu machen: Museen beteiligten sich aktiv an Kulturgutentziehungen und profitierten im Nationalsozialismus sowie im Kolonialismus von historischem Unrecht – das damit verbundene Leid manifestiert sich bis heute in musealen Sammlungen. In Anbetracht von Stimmen, die diese Vergangenheit verharmlosen oder gar fordern, sie zu vergessen, ist es umso wichtiger, die Herkunft von Sammlungen kritisch zu beleuchten. Auch wenn die früher postulierte Deutungshoheit des Museums grundsätzlich zu hinterfragen ist, denke ich, dass Museen ihre Position nutzen sollten, um Geschichte(n) lebendig zu halten, möglichst viele Perspektiven einzubeziehen und zukünftiges Handeln nach ihnen auszurichten. In diesem Sinne lohnt es sich, in der Provenienzforschung weiterhin Sammlungen auf die Spur zu gehen. 

Louisa Hartmann ist wissenschaftliche Volontärin am Landesmuseum Hannover/Netzwerk für Provenienzforschung in Niedersachsen.