Das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste bewilligt in der ersten Antragsrunde 2022 rund 1,6 Millionen Euro für neun Forschungsprojekte zu kolonialen Kontexten

Der Vor­stand des Deut­schen Zen­trums Kul­tur­gut­ver­lus­te in Mag­de­burg hat auf Emp­feh­lung sei­nes För­der­bei­rats in der ers­ten An­trags­run­de 2022 neun For­schungs­an­trä­gen im Be­reich „ko­lo­nia­le Kon­tex­te“ zu­ge­stimmt und da­für ins­ge­samt rund 1,6 Mil­lio­nen Eu­ro För­der­geld be­wil­ligt.

Wenn von ehe­ma­li­gen Ko­lo­ni­en die Re­de ist, dann zu­meist von Ge­bie­ten im so­ge­nann­ten Glo­ba­len Sü­den. Doch ko­lo­nia­le Un­ter­drückung fand auch im ho­hen Nor­den statt. Dort lit­ten die Sá­men un­ter dem so­ge­nann­ten „Nor­di­schen Ko­lo­nia­lis­mus“. Die ein­zi­gen in­di­ge­nen Ge­sell­schaf­ten Eu­ro­pas, die in den nörd­li­chen Re­gio­nen Nor­we­gens, Finn­lands, Schwe­dens und auf der Ko­la-Halb­in­sel der Rus­si­schen Fö­de­ra­ti­on zu­hau­se sind, ver­lo­ren wäh­rend der Un­ter­drückung durch die Na­tio­nal­staa­ten nicht zu­letzt die meis­ten ma­te­ri­el­len Zeug­nis­se ih­rer Kul­tur. Die be­deu­tends­te sá­mi­sche Samm­lung au­ßer­halb Nord­eu­ro­pas ist heu­te im Mu­se­um Eu­ro­päi­scher Kul­tu­ren (MEK) in Ber­lin-Dah­lem zu fin­den. Jetzt soll die­ser Be­stand sys­te­ma­tisch auf­ge­ar­bei­tet wer­den: Das MEK un­ter­sucht im Rah­men ei­nes vom Deut­schen Zen­trum Kul­tur­gut­ver­lus­te ge­för­der­ten Pro­jekts und in en­ger Ko­ope­ra­ti­on mit sá­mi­schen Part­ner:in­nen die Her­kunft von rund 1000 Ob­jek­ten und Fo­to­gra­fi­en.

Um zu klä­ren, wie Kul­tur­gü­ter aus Skan­di­na­vi­en, Ost­afri­ka oder Chi­na, aber auch mensch­li­che Über­res­te aus eins­ti­gen Ko­lo­ni­al­ge­bie­ten in deut­sche Samm­lun­gen ge­kom­men sind, hat nun der Vor­stand des Deut­schen Zen­trums Kul­tur­gut­ver­lus­te in Mag­de­burg auf Emp­feh­lung sei­nes För­der­bei­rats in der ers­ten An­trags­run­de 2022 neun For­schungs­an­trä­gen im Be­reich „ko­lo­nia­le Kon­tex­te“ zu­ge­stimmt und da­für ins­ge­samt rund 1,6 Mil­lio­nen Eu­ro För­der­geld be­wil­ligt. Sie­ben Pro­jek­te wur­den neu be­an­tragt, zwei be­reits lau­fen­de wer­den ver­län­gert.

Ne­ben der Fra­ge nach der Her­kunft von Ob­jek­ten und mensch­li­chen Über­res­ten rückt da­bei die Rol­le ko­lo­nia­ler In­sti­tu­tio­nen in den Fo­kus. Das Deut­sche In­sti­tut für tro­pi­sche und sub­tro­pi­sche Land­wirt­schaft (DITSL) zum Bei­spiel un­ter­sucht nicht nur sei­ne Samm­lung im Mu­se­um Wit­zen­hau­sen, son­dern auch die Ge­schich­te der eins­ti­gen Ko­lo­ni­al­schu­le Wit­zen­hau­sen als Aus­bil­dungs­stät­te für jun­ge Män­ner, die in den Ko­lo­ni­en zum Auf­bau ei­ner ko­lo­nia­len Wirt­schaft bei­tra­gen soll­ten. Ein an­de­res Pro­jekt be­leuch­tet ko­lo­nia­les Samm­lungs­gut in Kunst­mu­se­en und Künst­ler­nach­läs­sen: Die Uni­ver­si­tät zu Köln er­forscht die Pro­ve­ni­enz von Ar­te­fak­ten, die sich un­ter an­de­rem in den Samm­lun­gen der „Brücke“-Künst­ler Karl Schmidt-Rott­luff, Emil Nol­de, Erich He­ckel und Max Pech­stein fan­den. So soll ein Be­wusst­sein da­für ent­ste­hen, dass nicht nur in eth­no­lo­gi­schen Mu­se­en, son­dern auch in Kunst­samm­lun­gen tau­sen­de von Ob­jek­ten aus ko­lo­nia­len Kon­tex­ten la­gern, de­ren Her­kunft un­ge­klärt – und oft auch un­ter­hin­ter­fragt ist.

Das von Bund, Län­dern und kom­mu­na­len Spit­zen­ver­bän­den zum 1.1.2015 ge­grün­de­te Deut­sche Zen­trum Kul­tur­gut­ver­lus­te in Mag­de­burg ist in Deutsch­land zen­tra­ler An­sprech­part­ner zu Fra­gen un­recht­mä­ßig ent­zo­ge­nen Kul­tur­guts. Das Zen­trum wird von der Be­auf­trag­ten der Bun­des­re­gie­rung für Kul­tur und Me­di­en in­sti­tu­tio­nell ge­för­dert und er­hält von dort auch die Mit­tel für sei­ne Pro­jekt­för­de­rung. Das Haupt­au­gen­merk des Zen­trums gilt dem im Na­tio­nal­so­zia­lis­mus ver­fol­gungs­be­dingt ent­zo­ge­nen Kul­tur­gut, ins­be­son­de­re aus jü­di­schem Be­sitz. Seit Ja­nu­ar 2019, als das Deut­sche Zen­trum Kul­tur­gut­ver­lus­te um ei­nen Fach­be­reich für ko­lo­nia­le Kon­tex­te er­wei­tert wur­de, ist es auch mög­lich, die För­de­rung von Pro­jek­ten zu be­an­tra­gen, die sich mit Kul­tur- und Samm­lungs­gut aus ko­lo­nia­len Kon­tex­ten be­fas­sen. Seit­dem wur­den ins­ge­samt rund sechs Mil­lio­nen Eu­ro für 50 Pro­jek­te in die­sem Be­reich be­wil­ligt.

An­trä­ge für län­ger­fris­ti­ge Pro­jek­te kön­nen je­weils zum 1. Ja­nu­ar und 1. Ju­ni ei­nes Jah­res ein­ge­reicht wer­den, kurz­fris­ti­ge Pro­jek­te kön­nen je­der­zeit be­an­tragt wer­den. An­trags­be­rech­tigt sind al­le Ein­rich­tun­gen in Deutsch­land in öf­fent­lich-recht­li­cher Trä­ger­schaft, die Samm­lungs­gut aus ko­lo­nia­len Kon­tex­ten sam­meln, be­wah­ren oder er­for­schen. Da­zu zäh­len Mu­se­en, Uni­ver­si­tä­ten und an­de­re For­schungs­ein­rich­tun­gen. Seit dem 1.1.2021 kön­nen An­trä­ge auch von Ein­rich­tun­gen ge­stellt wer­den, die als ge­mein­nüt­zig an­er­kannt sind und ih­ren Sitz in Deutsch­land ha­ben.