„Wirklich alles aufklären“: Deutsches Zentrum Kulturgutverluste stellt neue Buchreihe Provenire vor. Band eins: Einblicke in zehn Jahre geförderte Provenienzforschung
Was wurde aus der grafischen Sammlung des „Führermuseums?“ Was aus Julius Goldners berühmten Briefmarken von Helgoland? Woher stammen die „217 Insekten vom Monte Gargano“ sowie zwei menschliche Herzen und vier Föten im Bremer Übersee-Museum? Welche Rolle spielten Auktionatoren bei der Enteignung der jüdischen Bevölkerung im Dritten Reich? Wie kam es, dass die Erben des in Auschwitz ermordeten Dresdner Ehepaares Eduard und Rita Müller 75 Jahre später Emil Noldes Bild „Frauen im Blumengarten“ aus Duisburg zurückerhielten? Und warum ist es heute noch eine große Herausforderung, die einstmals riesige Kunstsammlung des Reichsministers Hermann Göring auf ihre Herkunft zu durchleuchten?
Provenienzforschung ist auch 74 Jahre nach dem Ende der Nazi-Diktatur ein weites und unübersichtliches Feld. Vor allem aber: Sie ist moralische Verpflichtung. Bis heute gibt es keine Übersicht darüber, was Museen und Bibliotheken nach 1945 an die Opfer der NS-Raubzüge und Plünderungen zurückgegeben haben. „Provenienzforschung ist kein Selbstzweck. Sie soll zu gerechten und fairen Lösungen im Geiste der Washingtoner Prinzipien führen“, umreißt Gilbert Lupfer, wissenschaftlicher Vorstand des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste, die große Aufgabe. (1998 verständigten sich 44 Staaten in Washington darauf, Nazi-Kunstraubgut zu identifizieren, die Eigentümer oder Erben ausfindig zu machen und die Fälle fair und gerecht zu lösen.)
Die neue Schriftenreihe „Provenire“ des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste wirft Licht ins Dunkel der Geschichte und wagt – ohne Anspruch auf Vollständigkeit - eine vorläufige Bestandsaufnahme. Band eins der im De Gruyter Verlag erscheinenden Reihe schildert akribisch die erschütternden Schicksale von Opfern, die kalte Dreistigkeit der Täter und die vielfältigen Schwierigkeiten, vor denen die Forschung heute steht. Der erste Band „Provenienzforschung in deutschen Sammlungen“ gibt Einblick in Erfahrungen und Ergebnisse aus zehn Jahren Forschungsförderung zu verschiedensten Aspekten von NS-Raubgut in Museen, Bibliotheken und Archiven in Deutschland. Er versammelt auf 372 Seiten, sortiert nach Orten und Akteuren des NS-Kulturgutraubs, exemplarisch verschiedenste Forschungsprojekte, die ab 2008 durch die Arbeitsstelle für Provenienzforschung und ab 2015 durch das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg gefördert wurden.
„Die verschiedenen Beiträge des Buches“, so wissenschaftlicher Vorstand Lupfer, belegten eindeutig die über die Jahre in Deutschland gewachsene Absicht, „wirklich alles aufzuklären“. Längst sei aus einer Sache weniger ein Anliegen vieler geworden: „Davon dass sich „die Museen“ verweigern oder Raubgut in ihren Depots verstecken, kann wirklich keine Rede mehr sein.“