„Führerbau-Diebstahl“. Rekonstruktion des Bestandes im sog. Führerbau in München – Recherchen zum Verbleib der verschwundenen Objekte

Förderbereich:
NS-Raubgut
Zuwendungs­empfänger:
Zentralinstitut für Kunstgeschichte
Bundesland:
Bayern
Ansprechpartner:
PD Dr. Christian Fuhrmeister

PositionProjektbetreuung

E-Mailc.fuhrmeister@zikg.eu

Dr. Stephan Klingen

PositionLeiter der Photothek, Leiter EDV

E-Mails.klingen@zikg.eu

Projekttyp:
langfristig
Projektlaufzeit:
bis
Beschreibung:

Ausgangsfragen und Zielsetzungen des Projektes

Ziel des Projektes war die Rekonstruktion des »Führerbau-Diebstahls« Ende April 1945 und die Erarbeitung eines Überblicks zu Herkunft, Verbleib und Schicksal der Objekte. Diese validierte Übersicht soll es Museen und Sammlungen ermöglichen, ihre Bestände gezielt zu prüfen. Daneben kann mit dieser Dokumentation im Umlauf befindliches NS-Raubgut und NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut identifiziert werden.

Im Rahmen des Forschungsprojektes wurden vorrangig vier eng miteinander verzahnte Bereiche bearbeitet:

- Rekonstruktion des Bestandes im sogenannten »Führerbau« in München

- Feststellung, welche Werke gestohlen wurden

- Recherchen zum Verbleib der verschwundenen Objekte

- Dokumentation (und Publikation) der bis heute nicht aufgefundenen Werke

Darüber hinaus sollte der »Führerbau« als Aufbewahrungsort für Kunstwerke bis April 1945, die Plünderungen Ende April selbst, die Suche nach den gestohlenen Werken ab Mai 1945 und im Falle einer erfolgreichen Wiederauffindung Registrierung im Central Collecting Point (CCP) München untersucht werden.

Mit der digitalen Link Open Data Arbeitsplattform WissKI, in die Daten der digitalisierten Quellen und die daraus generierten Informationen implementiert wurden, steht nicht nur die Datenbasis für eine Online-Publikationen zur Verfügung. Das WissKI-System dokumentiert auch die im Zuge des Projektes erfassten Entitäten Quellen, Objekte, Personen, Institutionen, Orte, Umlagerungen etc. und deren Verknüpfungen untereinander und erlaubt damit den Zugriff nicht nur auf die Forschungsergebnisse, sondern auch auf die ihnen zugrundeliegenden Metadaten.

Das Projekt in Zahlen

Nach Abschluss des Projektes steht fest, dass sich am 29. April 1945 über 1.500 Kunstwerke im »Führerbau« sowie im angrenzenden »Verwaltungsbau der NSDAP« befunden haben müssen. Diese Objekte stammten aus folgenden vier Komplexen, die im Zuge des Projekts voneinander abgegrenzt werden konnten:

- 150 Objekte sind in der Kartei zur Ausstattung »Führerbau München« (heute BVA Berlin) mit dem Standort »Führerbau« bzw. »Verwaltungsbau« verzeichnet, gehörten also ganz offensichtlich zum Inventar der Gebäude am Parteiforum in München.(1)

- 764 Objekte bzw. Objektgruppen waren für den »Sonderauftrag Linz« bestimmt und sind als solche katalogisiert worden, darunter allein 262 Gemälde aus der in Frankreich beschlagnahmten Sammlung Adolphe Schloss, die unter einer gemeinsamen Nummer (Linz-Nr. 3108 [2]) aufgenommen wurden. Außerdem die o. g 29 Werke, die ursprünglich aus der Ausstattungskartei zum »Führerbau« stammten, aber später in den »Sonderauftrag Linz« übernommen wurden.

- 592 Objekte, die Ende April 1945 aus dem »Führerbau« gestohlen, jedoch wiederentdeckt bzw. zurückgebracht oder aber im CCP München aufgefunden wurden, konnten keinem dem Projekt bekannten und mit dem »Führerbau« oder dem »Sonderauftrag Linz« zusammenhängenden Verzeichnis aus der NS-Zeit unmittelbar zugeordnet werden.(3) Hier handelte es sich entweder um Objekte, die als (Kommissions-)Waren aus dem Handel kamen und/oder über deren nähere Bestimmung bzw. künftige »Verwertung« bis Kriegsende nicht entschieden worden war, oder aber um Objekte, die aus dem Besitz/Eigentum Dritter stammten (z. B. Einlagerungen von Privatpersonen oder aus dem Kunsthandel).

- Die hohe Zahl der nach den Plünderungen wieder aufgefundenen, aufgespürten oder zurückgebrachten Werke, die keinem Verzeichnis aus der NS-Zeit zuzuordnen sind, lässt darauf schließen, dass eine hohe, bis dato aber unbekannte Anzahl an undokumentierten Objekten im »Führerbau« oder »Verwaltungsbau« deponiert gewesen sein muss. Somit ist anzunehmen, dass es eine Dunkelziffer an weiteren Objekten gibt, die den Plünderungen ebenfalls zum Opfer fielen, über deren Verbleib seit Kriegsende aber nichts bekannt wurde. Sofern diese Werke nicht zerstört sind, befinden sie sich heute unentdeckt in Sammlungen oder im Handel. Eine Auffindung dieser Werke wird aus aktueller Sicht nur zufällig und in Einzelfällen passieren, gezielte Recherchen sind wegen des Fehlens einer Dokumentation nicht möglich.

Zum Verbleib der im April 1945 im »Führerbau« und im »Verwaltungsbau« deponierten Objekte konnten folgende Zahlen recherchiert werden:

- 830 Objekte befanden sich Ende April 1945 offenbar noch im »Führerbau« oder »Verwaltungsbau«. Das heißt, sie wurden vermutlich nicht gestohlen, sondern später von den Alliierten vor Ort entdeckt und mit der Depotangabe »Arcissstraße« bereits ab August 1945 (unmittelbar nach den ersten Kunsttransporten aus den Salzbergwerken in Altaussee) bis 1954 im CCP München registriert.

- Mindestens 676 Objekte wurden Ende April 1945 aus dem »Führerbau« gestohlen:

- 297 Objekte konnten von den Offizieren der Monuments Fine Arts and Archives Section oder der Münchner Polizei in den folgenden Monaten/Jahren

aufgespürt werden oder wurden nach umfassenden Medienkampagnen oder Suchanzeigen von freiwillig abgegeben.

- 379 Objekten bzw. Objektgruppen, die Ende April 1945 aus dem »Führerbau« geplündert wurden, müssen heute offiziell als »verschollen« gelten. Diese

Werke wurden folglich nie beim CCP München, der Kriminalpolizei oder der Treuhandverwaltung von Kulturgut München abgegeben, bzw. repatriiert oder

restituiert. Tatsächlich ist ihr Schicksal bis heute weitestgehend unbekannt, nur in einigen, wenigen Fällen gibt es konkrete Hinweise auf den Verbleib.

Da sich unter diesen 379 Objekten bzw. Objektgruppen auch eine Kassette mit 15 Druckgrafiken sowie ein 31-teiliges Porzellanservice befanden, ist von insgesamt 423 Objekten auszugehen, die bis heute verschollen sind.

Da die untersuchten Objekte physisch nicht mehr greifbar sind, sie also weder auf Provenienzmerkmale hin untersucht werden können und in vielen Fällen nur marginale, indirekt überlieferte Angaben zu ihrer Herkunft vorliegen, lag der Fokus des Projektes primär auf der Erstellung eines sorgfältig ausdokumentierten Verlustkataloges. Eine Einordnung der verschollenen Objekte gemäß der »Farbskala« erschien vor diesem Hintergrund und der Tatsache, dass Verschollene Objekte ohnehin nicht restituiert werden können, weder möglich noch zielführend.

Auflistung der für das Projekt relevanten handelnden historischen Personen und Institutionen

Das Projekt fokussierte sich auf folgende Gruppen von Akteuren:

- Akteure rund um den »Sonderauftrag Linz« und den »Führerbau«: an Erwerb und Beschlagnahme von Kunstwerken im Auftrag des »Sonderauftrags Linz« (u. a. in Frankreich) beteiligte Personen, Personal zur Katalogisierung und Dokumentation der Werke im »Führerbau«, Personal zur Spedition und Überwachung von Transporten und Auslagerungen,

- Akteure die unmittelbar in den »Führerbau-Diebstahl« im April 1945 involviert waren: Wachpersonal der Parteibauten am Königsplatz, Plünderer, Diebe, Hehler am Schwarzmarkt sowie die freiwillig oder unfreiwillig an der Distribution des Diebesgutes beteiligten Kunsthändler und Auktionshäuser der Nachkriegszeit,

- die an den Ermittlungen nach den geplünderten Objekten beteiligten Akteure: Personal der MFA&A bzw. des CCP München, Münchner Polizeibeamte, Leiter der Treuhandverwaltung von Kulturgut München.

(1) In der Ausstattungskartei sind auch 29 Werke verzeichnet, die offenbar zuerst als Ausstattungsobjekte für die NSDAP erworben, aber zu einem späteren Zeitpunkt an den »Sonderauftrag Linz« übergeben und dort inventarisiert worden waren.

(2) Vgl. http://www.dhm.de/datenbank/ccp/dhm_ccp_add.php?seite=6&fld_3=3108&fld_3_exakt=exakt&suchen=Suchen..

(3) Sie stehen offenbar auch nicht in Zusammenhang mit »Anhang« zum »Dresdner Katalog« im Bundesarchiv Koblenz (B323/8688). Diese auf den Recherchen des Leiters der Treuhandverwaltung von Kulturgut, Dr. Bernhard Hofmann, Treuhandverwaltung von Kulturgut München, beruhende Aufstellung (3 Ordner à über 400 Seiten) verzeichnet ca. 1.500 Kunstwerke, die nachweislich noch in der Absicht angekauft wurden, sie dem »Sonderauftrag« zuzuführen, über deren Verbleib Hoffmann jedoch mit wenigen Ausnahmen nichts in Erfahrung bringen konnte.

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